Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
obwohl Emily sich mit aller Kraft gegen die Müdigkeit wehrte, die an ihr zerrte, sank sie bereits wieder zurück in einen dunklen, traumlosen Schlaf.
Irgendwann erwachte sie erneut. Diesmal gelang es ihr, die Augen zu öffnen. Sie lag in einem Bett, das mit durchscheinenden Tüchern verhangen war. Eines der Tücher war zurückgeschlagen. Emily ließ den Blick durch den Saal wandern, doch die anderen Betten waren leer. Durch die hohen Fenster, die bis dicht unter die Decke reichten, fiel helles Tageslicht in den Saal und brachte den glattpolierten Steinboden zum Glänzen. An der Wand stand ein Rollwagen, der mit Mullbinden, Pflastern und verschiedensten Tiegelchen gefüllt war. Offensichtlich befand Emily sich im Sanatorium.
„Ach, endlich erwachst du“, rief Sophia erfreut. Vom Ende des Saales eilte sie auf Emily zu und setzte sich auf die Bettkante.
„Mein armes Mädchen“, sagte sie. „Fühlst du dich besser?“
„Ja“, nickte Emily. Es ging ihr tatsächlich etwas besser. Zwar fühlte sie sich immer noch schwach und endlos müde, aber das Kribbeln hatte aufgehört.
„Vielleicht glaubst du mir jetzt, wie gefährlich die Bücher sein können“, sagte Sophia, doch sie klang nicht vorwurfsvoll dabei. Eher besorgt.
Emily nickte. Trotzdem bedauerte sie nicht, dass sie in dem Buch gelesen hatte, denn sie wusste, dass es ihr eine Gabe geschenkt hatte. Eine aufregende Gabe…
„Das Buch, in dem du gelesen hast“, fuhr Sophia fort. „Woher hattest du es? Wie hast du es… nun ja… eingefangen ?“
Emily überlegte blitzschnell. Also wusste auch Sophia, dass sie das hüpfende Buch gehabt hatte… vielleicht hatte Shaddock sie bedroht und ihr gesagt, sie solle Emily danach fragen… damit er es kriegen konnte…
„Ich habe es nicht eingefangen“, sagte sie und versuchte, möglichst überrascht auszusehen. „Als ich in mein Zimmer gekommen bin, lag es aufgeschlagen da, und ich habe darin gelesen… und dann bin ich ohnmächtig geworden. Ich habe das Buch vorher noch nie gesehen.“
„Ach, das habe ich mir schon gedacht“, nickte Sophia. Eine Weile saß sie nur da und tätschelte Emilys Hand. Dann sagte sie:
„Ich muss nach Sieben-Drachen-Stadt reisen. Mein Luftschiff fährt heute Abend.“
Sophia hatte Emily bereits gesagt, dass sie verreisen würde. In Sieben-Drachen-Stadt trieben die Irrlichter ihr Unwesen am schlimmsten, sie hatten dort bereits mehrere Menschen entführt. Zwar waren alle wieder aufgetaucht, jedoch ohne Erinnerung. Sophia würde sich als Vertreterin der Bibliothekare Arcanastras mit dem Parlament in Sieben-Drachen-Stadt treffen und nach einer Lösung für das Problem suchen.
„Die Menschen erwarten von den Hütern, sie vor den Irrlichtern zu beschützen – zu Recht“, hatte sie Emily erklärt. „Vielleicht werden die Hüter dort die Erlaubnis bekommen, in die unterirdische Bibliothek Arcanastras zu gehen. Doch dieser Möglichkeit werde ich erst zustimmen, wenn alle anderen Maßnahmen versagen.“
„Warum?“, hatte Emily gefragt, und Sophia hatte geantwortet:
„Wie gesagt, die Bücher in der unterirdischen Bibliothek sind sehr mächtig. Ich habe gesehen, was passiert, wenn sie missbraucht werden… deshalb sollten sie von so wenigen Menschen wie möglich gelesen werden.“
Emily hatte ihre Großtante auch gefragt, ob sie nicht mitkommen dürfe nach Sieben-Drachen-Stadt, doch Sophia hatte den Kopf geschüttelt.
„Junge Hüter müssen beschützt werden, und das ist nur in Arcanastra wirklich möglich.“
Enttäuscht hatte Emily sich diese Erklärung angehört und dabei an Linus gedacht, aber nichts gesagt.
„Ich würde jetzt lieber bei dir bleiben“, sagte Sophia. „Aber die Zusammenkunft des Parlamentes ist sehr wichtig. Du bist hier in guten Händen. Ich werde auch bald wiederkommen.“
Emily nickte und gähnte. Schon wieder fühlte sie sich so müde, als hätte sie seit Tagen nicht geschlafen. Sophia stand auf.
„Also dann, wir sehen uns in ein paar Wochen. Pass gut auf dich auf.“
Als Sophia gegangen war, betrat die Heilerin den Saal. Sie war jünger, als Emily erwartet hätte.
„Wie fühlst du dich?“, fragte sie lächelnd.
„Müde“, antwortete Emily.
Die Heilerin nickte. „Du brauchst jetzt viel Ruhe und Erholung, und vor allem ein bisschen Medizin. Ich werde dir gleich einen Becher davon bringen, dann wirst du gut schlafen können.“
Diese Medizin war das Bitterste, was Emily jemals geschmeckt hatte. Sie würgte und hustete, doch die
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