Hüter des Todes (German Edition)
sagte er schließlich leise.
«Diese beiden Apparate. Wir wissen, dass sie – was auch immer sie darstellen mögen – dazu gemacht sind, auf dem Kopf getragen zu werden. Das geht eindeutig aus dem Gemälde in der ersten Kammer hervor.»
Stone antwortete nicht. Er schüttelte lediglich langsam den Kopf.
«Es müssen demnach die Kronen sein und nichts anderes», fuhr Logan fort. «Sie sind rot und weiß – die richtigen Farben. Sie sehen sogar der Doppelkrone vage ähnlich, nach den Darstellungen zu urteilen, die wir alle gesehen haben.»
«Das sind keine Kronen», sagte Stone. Seine Stimme klang erschöpft und abwesend. «Das dort sind die Spinnereien eines verrückten Königs, der von seinen Priestern verhätschelt wurde. Spielzeuge, weiter nichts. Kein Wunder, dass Narmers Nachkommen mit ihm gebrochen haben.»
«Sie sind bizarr, zugegeben», sagte Logan. «Sie sind weder dekorativ noch stilisiert, noch sonst irgendetwas. Aber sie müssen wertvoll sein – sehr wertvoll . Sonst hätte Narmer sie nicht in der heiligsten Kammer des Grabes versteckt; hätte sie nicht in derart prachtvollen Beuteln versiegelt. Und er hätte sein Grab nicht mit einem so schrecklichen Fluch belegt.»
«Narmer wurde verrückt! Das ist alles!», sagte Stone bitter. «Ich hätte es wissen müssen. Warum sonst sollte er seine Grabstätte so weit draußen errichten, an diesem gottverlassenen Ort, viele, viele Tagesreisen von seinem eigenen Königreich entfernt? Warum sonst sollte er mit einer Tradition brechen, die tausend Jahre lang Bestand hatte?»
«Das ist nicht ganz richtig», sagte Ethan Rush leise. «Narmer war die Tradition. Er war der Erste – es waren seine Nachfolger, die mit der Tradition brachen, nicht andersherum.»
Unterdessen war Christina Romero erneut an den golden gerahmten Tisch getreten, und nun betrachtete sie die Schriftrollen eine nach der anderen in andächtiger Konzentration. Unvermittelt richtete sie sich auf und wirbelte zu der Gruppe herum. «Ich glaube, ich weiß es!», sagte sie.
Alle Köpfe fuhren hoch.
«Ich habe ja bereits gesagt, dass die ägyptischen Pharaonen sich für Nahtod-Erfahrungen interessierten, die zweite Region der Nacht , wie sie es nannten», fuhr sie fort. «Wenn ich diese Texte hier richtig verstehe, dann waren sie mehr als nur interessiert. Es scheint, dass sie – oder zumindest Narmer – sie bewusst praktizierten .»
«Was soll das heißen?», fragte Stone. «Wie kann man denn eine Nahtod-Erfahrung praktizieren ?»
«Ich sage lediglich, was ich den Schriften entnehme», erwiderte sie und wedelte wie zur Bekräftigung mit einer Papyrusrolle. «Hier ist immer und immer wieder von ib die Rede. Ib ist das alte ägyptische Wort für Herz. Die Ägypter glaubten, dass das Herz und nicht das Gehirn der Sitz von Wissen, Emotionen und Gedanken war. Das Herz war der Schlüssel zur Seele und entscheidend für das Überleben im Jenseits. Doch ib wird in diesen Texten nicht in einem religiösen Zusammenhang benutzt. Eher in …» Sie stockte, suchte nach dem passenden Wort. «Eher in klinischem Zusammenhang.» Sie legte die Schriftrolle wieder auf den Tisch. «Ich sagte schon einmal, dass sich das alles wie eine Serie von Instruktionen liest, weniger als die üblichen Zaubersprüche oder Beschwörungen.»
«Instruktionen?», fragte Stone mit einer Stimme, die vor Skepsis triefte. «Instruktionen für was ?»
Darauf wusste Christina Romero zunächst keine Antwort.
«Es klingt paradox», sagte Logan. «Sie sagen, die alten Ägypter glaubten, dass das Herz entscheidend war für das Überleben in der nächsten Welt.»
Romero nickte. «In der Unterwelt angekommen, wurde das Herz des Pharaos von Anubis in einer Zeremonie inspiziert und geprüft, die uns als ‹Wiegen des Herzens› bekannt ist. Zumindest war es das, was die späteren Ägypter glaubten.»
«Doch wenn das Herz stehen bleibt, tritt der Tod ein. Wie kann ein stehengebliebenes Herz für Narmer in der nächsten Welt von irgendwelchem –» Logan unterbrach sich mitten im Satz. «Moment. Was haben Sie vorhin gesagt? Es wäre beinahe so, als wäre dieses Grab ein Probedurchgang für Narmers wirklichen Tod gewesen, für seine Passage in das Gebiet von Sechet-iaru . Ein Probelauf quasi. Richtig?»
Christina Romero nickte.
Logans Blick ging von ihr zum Inhalt der Grabkammer und dann wieder zu ihr zurück. Mit einem Mal – wie mit einem Donnerschlag – ging ihm ein Licht auf.
«Oh mein Gott …», flüsterte er. «Die
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