Hüter des Todes (German Edition)
mich nicht auf den Arm, oder?»
«Nein. Ich war zwölf. Meine Eltern waren über das Wochenende weggefahren, und mein älterer Bruder sollte auf mich aufpassen.» Logan schüttelte den Kopf. «Er hat auf mich aufgepasst, und wie. Er brachte mich dazu, die Nacht im alten Hackety House zu verbringen.»
«Das alte verwunschene Hackety House.»
«Ganz genau. Es hatte seit Jahren leer gestanden, doch die einheimischen Kinder behaupteten steif und fest, dass dort eine Hexe wohnte. Die Leute redeten über seltsame Lichter um Mitternacht und darüber, dass Hunde einen großen Bogen um das Grundstück machten. Mein Bruder wusste, wie stur ich war und dass ich keiner Herausforderung widerstehen konnte. Also nahm ich meinen Schlafsack und eine Taschenlampe und ein paar Taschenbücher, die mein Bruder mir geschenkt hatte, und trottete die Straße hinunter bis zu dem verlassenen Haus. Ich stieg durch ein offenes Fenster im Erdgeschoss ein.»
Er hielt inne, während er sich erinnerte. «Zuerst schien es eine Brise zu sein, mehr nicht. Ich hatte den Schlafsack im einstigen Wohnzimmer ausgelegt, aber dann wurde es dunkel. Und ich hörte Geräusche. Knarrende Dielen. Stöhnen. Ich versuchte mich abzulenken, indem ich in den Büchern las, die mein Bruder mir gegeben hatte, aber es waren ausnahmslos Gespenstergeschichten – wie passend –, und ich legte sie beiseite. In diesem Moment hörte ich es.»
«Was?»
«Schritte. Schritte aus dem Keller, die die Treppe heraufkamen.»
Der Cocktail kam, und Christina Romero umklammerte ihn mit beiden Händen. «Erzählen Sie weiter.»
«Ich wollte weglaufen, doch ich war wie versteinert. Ich konnte nicht einmal mehr aufstehen. Ich schaffte es mit Mühe und Not, meine Taschenlampe einzuschalten, und das war alles. Ich hörte, wie sich die Schritte langsam durch die Küche bewegten. Und dann erschien eine Gestalt in der Tür.»
Er trank einen Schluck von seinem Scotch. «Ich werde diesen Anblick niemals vergessen. Was ich im Licht der Taschenlampe sah. Eine Krone, weißes, unbändiges Haar, das wild in alle Richtungen abstand, die Augen leere Höhlen. Ich dachte, mein Herz müsste jeden Moment explodieren. Sie setzte sich in Bewegung, kam auf mich zu. Und ich, ich fing an zu schreien. Ich hätte mir fast in die Hosen gemacht. Sie streckte eine verschrumpelte Hand nach mir aus, und ich wusste, ich würde sterben. Sie würde mich verhexen, und ich würde verschrumpeln und sterben, auf der Stelle.»
Er hielt inne.
«Und weiter?», drängte Christina Romero.
«Ich starb nicht. Sie nahm meine Hand und hielt sie in der ihren. Und plötzlich … begriff ich. Es ist schwierig zu erklären, aber mir wurde bewusst, dass sie keine Hexe war. Sie war nur eine alte Frau, einsam und verängstigt, die sich im Keller versteckte und von Leitungswasser und Konserven lebte. Es war, als könnte ich … als könnte ich ihre Angst vor der Welt da draußen spüren , ihre elende Existenz in dem kalten, dunklen Keller und ihren Schmerz darüber, dass sie alles und jeden verloren hatte, der ihr jemals etwas bedeutet hatte.»
Er leerte sein Glas. «Das war alles. Sie zog sich in die Dunkelheit zurück. Ich rollte meinen Schlafsack zusammen und ging nach Hause. Als meine Eltern nach Hause kamen, erzählte ich ihnen, was geschehen war. Mein Bruder bekam einen ganzen Monat Stubenarrest, und die Cops überprüften Hackety House. Die alte Frau war, wie sich herausstellte, Vera Hackety, eine geistig behinderte Frau, deren Familie sich stets um sie gekümmert hatte, bis ihr letzter lebender Angehöriger achtzehn Monate zuvor gestorben war. Seit diesem Zeitpunkt hatte sie allein im Keller gehaust.»
Er sah Christina Romero an. «Aber es passierte etwas Merkwürdiges. Etwas an dieser Begegnung hatte mich verändert. Ich entwickelte eine Faszination für Gespenster, verwunschene Häuser und verfluchte Schätze. Bigfoot, den Yeti, was man sich nur vorstellen kann. Und eines der Bücher – die Gespenstergeschichten, die mein Bruder mir so fürsorglich mitgegeben hatte, um mir noch mehr Angst zu machen –, stellte sich als ein Werk von E. und H. Heron heraus, Flaxman Low, Okkulter Psychologe . Es war eine Anthologie von Geschichten über einen Detektiv mit übernatürlicher Begabung.»
«Ein Detektiv mit übernatürlicher Begabung», wiederholte Christina Romero.
«Ganz recht. Eine Art Sherlock Holmes im Reich der Gespenster. Ich verschlang das Buch, und ich war noch nicht ganz fertig, als ich schon wusste, was ich
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