Hüterin der Nacht: Roman (German Edition)
dass ich mich zu einem Mann hingezogen fühlte, der hasste, was ich war. Das hatte ich schon bei Quinn. Die Mondhitze scherte sich natürlich nicht um so etwas. Für sie war er bloß ein faltiger Leckerbissen, den sie gern vernaschen wollte.
Zu meinem Glück hatte das Mondfieber noch nicht richtig eingesetzt.
Ich blieb am Eingang zum Wohnzimmer stehen und machte einen Schwenk mit meinem Telefon, das immer noch auf Aufnahme geschaltet war. Hier hatte eindeutig ein Kampf stattgefunden, die Möbel waren umgeworfen, der Fernseher und der Kaffeetisch aus Glas zertrümmert, und überall lagen Bücher und Zeitschriften verstreut. Wenn Dunleavy um sein Leben gekämpft hatte, wieso fanden sich dann keine Spuren an seinem Körper? Oder konnte ich sie nur nicht sehen, weil er darauf lag?
Würde ich blaue Flecken auf einer Haut sehen, die man abgezogen hatte?
Der Geruch nach Exkrementen war hier stärker als überall sonst, aber wieder roch es mehr nach Mensch als nach Gautier. Obwohl Gautiers Geruch ebenfalls in der Luft hing, nur nicht so stark oder frisch. Als ich den Blick über den Boden gleiten ließ und die Ursache suchte, entdeckte ich Füße.
Weibliche Füße, um genau zu sein. Selbst aus dieser Entfernung konnte ich den rosa Nagellack auf ihren Zehennägeln erkennen. Der Rest ihres Körpers war von der umgekippten Couch und diversen Lagen aus Büchern und Zeitungen verdeckt.
Ich spähte über meine Schulter. Cole kniete neben einer offenen Tasche und baute das mobile Aufnahmegerät auf. Wieso es mobil hieß, wenn man es nirgendwohin bewegen, sondern es nur an der Decke aufhängen konnte, damit es eine 360-Grad-Aufnahme von einem Raum machte, wusste niemand.
»Im Wohnzimmer ist eine zweite Leiche. Beeil dich mit dem Gerät.«
»Es ist Wächtern nicht gestattet, sich in die Ermittlungen einzumischen.« Er klang kurz angebunden, ungeduldig.
»Was Wächter tun oder lassen sollten, interessiert mich nicht.« Was mehr der Wahrheit entsprach, als Cole sich vorstellen konnte, und Jack höllisch geärgert hätte. Überraschen würde es ihn allerdings nicht. »Vielleicht hörst du auf, dir Gedanken darüber zu machen, was ich tun sollte, und beeilst dich etwas mit dem, was du zu tun hast?«
»Wenn du verdammt noch mal die Klappe halten würdest, könnte ich mich konzentrieren und käme vielleicht dazu.«
Ich verkniff mir ein Grinsen und blickte zurück in das verwüstete Wohnzimmer. Etwas Glänzendes hinten links in der Ecke fing meine Aufmerksamkeit, es lag unter einem der rückwärtigen Fenster. Als die Sonne kurz hinter den Wolken hervorgekommen war, hatte es unter einem Sonnenstrahl hübsch rot gefunkelt. Es wirkte nicht wie glitzerndes Glas. Auch nicht, wenn es mit Blut bedeckt war.
Ich runzelte die Stirn und bahnte mir vorsichtig einen Weg durch das Chaos. Hinter mir ertönte ein unterdrücktes Fluchen. Cole hatte die mobile Einheit offensichtlich immer noch nicht zusammengesetzt. Ich ließ mein Telefon auf Aufnahme geschaltet und kniete neben dem Schatten nieder.
In dem Staub, der sich hinter dem umgestürzten Fernseher gesammelt hatte, lag ein Ring. Ich hielt seine Position mit dem Telefon fest und hob ihn vorsichtig auf. Es war ein dicker Silberring von einigem Wert. So etwas ließ ein Dieb eigentlich nicht einfach herumliegen. Wo kam der Ring also her? Gehörte er Gautier? Ich hatte noch nie Ringe oder irgendeine Art von Schmuck an ihm gesehen. Auf der anderen Seite hatte ich bis heute auch nicht gewusst, dass er eine Vorliebe für das Häuten von Menschen hatte. Vielleicht hatte der Ring Dunleavy gehört, aber er war für einen Mann mit schlanken Fingern gemacht, und Dunleavy hatte kleine dicke Wurstfinger. Wenn er ihn gestohlen hatte, hätte er außerdem sicher besser auf ihn aufgepasst.
Gautier würde der Ring passen. War er doch von ihm? Und hatte er ihn mit Absicht oder versehentlich verloren? Diesem Psycho war alles zuzutrauen.
Als ich den Ring mit ans Licht nahm, wurde eine Gravur auf der massiven flachen Oberseite sichtbar. Es war ein dreiköpfiger Drache mit gefährlichen Krallen an den Pranken und einem schlangenähnlichen Körper. Die Augen des Drachen bestanden aus sechs funkelnden blutroten Rubinen.
Allein der Anblick jagte mir Schauer über den Rücken. Ich hatte keine Ahnung, wieso.
»Du darfst keine Beweismittel entfernen.«
Bei Coles scharfem Ton zuckte ich leicht zusammen. Ich versuchte, es zu überspielen, indem ich den Ring in meiner Hand drehte und die Innenseite untersuchte.
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