Hüterin der Nacht: Roman (German Edition)
sein, wenn man eine so empfindliche Nase wie ein Wolf hatte. Das konnte ich mir für mich nicht vorstellen, nicht Tag für Tag, Monat für Monat.
Andererseits hatte ich mir auch nicht vorstellen können, den Rest meines Lebens als Wächter zu arbeiten. Und jetzt blieb mir gar nichts anderes übrig.
Nachdem wir das Sofa aufgerichtet hatten, wurde die Ursache des Gestanks offensichtlich. Die Frau lag nackt auf dem Rücken, ihre Arme steckten unter ihrem Körper, die Beine waren gespreizt. Die Prellungen an den Oberschenkeln deuteten daraufhin, dass sie vergewaltigt worden war, und die blauen Flecken auf ihrem übrigen Körper, dass sie sich mit aller Macht dagegen gewehrt hatte.
Wer auch immer sie vergewaltigt hatte, hatte ihr den Hals aufgerissen und das Leben aus ihr herausgesaugt. Aber das hatte nicht gereicht. Oh, nein. Dann hatten sie noch auf sie geschissen. Der Beweis lag flüssig und höllisch stinkend zwischen ihren Brüsten.
»Vampirscheiße«, sagte Cole. »Es gibt kaum Wesen, die so wässerige Exkremente absondern.«
Ich blickte auf und bemerkte, dass er mich ansah. »Was?«
Er deutete auf die braune Flüssigkeit. »Das ist der Kot von einem Vampir, wahrscheinlich von einem Babyvampir. Bei älteren Vampiren hat er weniger Farbe und Form. Babyvampire haben noch ›menschliche‹ Anteile und produzieren üblicherweise etwas, das entfernt an normalen Kot erinnert.«
»Sieht aus, als würde ich jeden verdammten Tag etwas Neues über Vampire lernen.« Obwohl mich der Kot von Vampiren nicht wirklich interessierte, geschweige denn, dass ich länger darüber nachdenken wollte.
»Ich habe noch nie einen Wächter gesehen, der so wütend ausgesehen hat wie du jetzt.« Er hielt den Kopf etwas schief und wirkte überrascht und neugierig. »Es ist fast so, als würde dich dieser Tod ärgern.«
»Ärgerst du dich etwa nicht über einen sinnlosen Tod? Ärgert es dich etwa nicht, dass irgend so ein Mistkerl auf diese Frau geschissen hat, nachdem er sie vergewaltigt und ermordet hat?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe zu viel gesehen, als dass ich mich noch über so etwas aufregen würde.«
Ich schnaubte leise. »Und du glaubst, ich wäre ein kaltblütiges Monster?«
»Eine kaltblütige Mörderin«, fügte er leise hinzu. »Das ist ein Unterschied.«
Nicht wirklich, ganz bestimmt nicht. Ich sah mich nach der Frau um und bemerkte zum ersten Mal, dass sie dunkle Haare und dunkle Haut hatte. Wenn die Beschreibung der alten Frau aus dem ersten Haus stimmte, musste das Dunleavys Freundin sein.
Wenn Gautier für den Tod an Dunleavy verantwortlich war, wer hatte sich dann um seine Freundin gekümmert?
Mein Blick glitt zu ihrem übel zugerichteten Hals und den Exkrementen. Mein Magen krampfte sich zusammen, und eine dunkle Vorahnung kroch meinen Rücken hinauf. Ich drehte mich um und musterte die Glasscherben und die im Raum verteilten Möbel. Schließlich fand ich, was ich gesucht hatte. Es lag verdeckt auf dem Ofen. Ich stand auf und ging hinüber.
Ich nahm den Fotorahmen in die Hand und sah die dunkelhaarige Frau mit dem Kind. Ich schloss kurz die Augen und verfluchte die Ungerechtigkeit des Schicksals.
»Was ist so interessant an dem Rahmen?«, fragte Cole.
»Nicht der Rahmen, das Foto.« Ich drehte mich um und zeigte es ihm. »Siehst du das kleine Mädchen auf dem Foto? Wir haben sie letzte Nacht gefunden. Sie ist heute Morgen gestorben.«
»Wer das getan hat, hatte es also eigentlich auf das Kind abgesehen?«
»Nein, ich glaube, dass sie nur ein Köder war.« Ich rieb mir die Augen. Deshalb hatte der junge Vampir so lange im Regen gestanden. Gautier wollte sichergehen, dass wir ihm folgten. Er wusste, dass wir versuchen würden, das Mädchen zu retten. Wusste, dass wir versuchen würden, ihre Eltern ausfindig zu machen. Und er wollte, dass wir diesen Ring fanden.
Die Frage war, wieso?
Nachdenklich ließ ich den Blick wieder zu der Frau gleiten. »Wie lange ist sie schon tot?«
Cole sah hinunter auf die Leiche. »Die Leichenstarre hat noch nicht eingesetzt, keine drei Stunden.« Dann wandte er sich wieder zu mir um. »Warum?«
»Weil mit dem Zeitplan etwas nicht stimmt. Diese zwei wurden erst kürzlich ermordet, aber das kleine Mädchen hat man viel früher entführt.« Wir hatten Gautiers Vampirschützling gestern Nacht umgebracht. Er konnte es also nicht gewesen sein. Es war allerdings möglich, dass Gautier noch mehr Babyvampire in seinem Nest beherbergte.
Das beantwortete aber noch nicht die
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