Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)
heranzukommen, und glaube mir, moj padschij angel, es würde funktionieren.«
»Dann eben Thomas. Verstehst du, ich weiß noch nicht einmal, was ich davon halten soll, dich nicht bei deinem richtigen Namen nennen zu können. Ganz gleich, wie ich dich nenne, ich muss mir meiner Sache sicher sein. Aber ich traue mir nicht, wenn ich dir so nah bin.«
»Ich wäre ein Dummkopf, wenn ich dich jetzt gehen ließe, Judith.«
»Bitte, lass mich aufstehen. Ich muss mir meiner Sache sicher sein. Ich darf keinen weiteren Fehler machen. Du musst zugeben, dass alles viel zu schnell geht. Stört dich das denn gar nicht?«
Stefan schüttelte den Kopf und sein Magen schnürte sich zu. Sie war zur Flucht bereit. Sie wollte ihn, aber sie traute sich selbst nicht. Sie hatte sich nicht mehr getraut, seit sie mit Jean-Claude La Roux einen Fehler gemacht hatte. Es schien sich immer wieder um diesen Mann zu drehen. Er hätte ihm damals das Genick brechen sollen, und damit basta.
Er zwang seinen angespannten Körper, sich behutsam zurückzuziehen und ihr Bewegungsfreiheit zu geben, obwohl ihn alles dazu drängte, sie eng an sich zu pressen. »Glaube mir, Süße, wenn ein Mann sein ganzes Leben lang nie den übermächtigen natürlichen Drang – das Verlangen – verspürt hat, mit einer Frau zusammen zu sein, dann ist ihm ganz egal, dass es zu schnell geht. Er ist einfach nur dankbar. Ich dachte, ich sei unfähig, echte körperliche Anziehungskraft zu empfinden, von echten Gefühlen ganz zu schweigen.«
Judith setzte sich behutsam hin, als er ihr Platz machte. Stefan stand mit einem kleinen Seufzen auf und nahm ihre Hand, um sie auf die Füße zu ziehen.
»Du weißt nicht, was wahr ist, Thomas. Nicht wenn du eine Lüge lebst.«
»Mein bisheriges Leben ist nicht wahr gewesen, Judith. Es war schon nicht mehr wahr, seit ich aus meiner Familie herausgerissen wurde. Komisch. Ich habe meine Kindheit verdrängt, sowohl die guten als auch die schlechten Seiten, aber seit ich dir begegnet bin, kann ich mich daran erinnern, wie meine Mutter gelächelt hat und wie mein Vater im Haus, geschützt vor neugierigen Blicken, mit uns gespielt hat. Er war … magisch. Ich kann mich auch daran erinnern, wie sich all das leuchtend rote Blut im Schnee rosa verfärbt hat und trüb wurde, als die Soldaten meinen Vater erschossen hatten und sich meiner Mutter zuwandten. Mein ältester Bruder hat gegen sie gekämpft. Sie haben ihn geschlagen, bis er sich nicht mehr rühren konnte und sein Körper dort draußen im Schnee über dem Körper meiner Mutter lag. Ich konnte seine Augen sehen, die Wut, die darin stand, aber keine Kapitulation. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich überlebt habe – weil ich die Stärke und die Entschlossenheit meines Bruders gespürt habe.«
Stefan durchfuhr ein Ruck, und der Schock, der ihm anzusehen war, durchdrang auch sein Gehirn. Er gestattete es diesen Erinnerungen nie, an die Oberfläche zu kommen. Er hatte seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr an seinen ältesten Bruder gedacht. Es war einfacher gewesen, sich von ihnen allen zu lösen. Solange sie verschwommen und unscharf irgendwo in seinem Hinterkopf waren, weit weg, wo er glauben konnte, sie seien in Sicherheit und ihr Leben sei nicht so verlaufen wie seines, blieb er zurechnungsfähig.
Er wollte das Mitgefühl nicht, von dem er sich umgeben fühlte, und auch nicht das Mitleid in Judiths Augen. Er brauchte diese Dinge nicht. Sie schwächten einen. Er wandte sich abrupt von ihr ab und lief umher, da sich rastlose Energien in ihm aufstauten. Augenblicklich fühlte er diese beschwichtigende Ausstrahlung, die ihn umgab und ihm zusetzte, bis ihm gar nichts anderes mehr übrigblieb, als vor ihr zu kapitulieren.
Er hielt Judith den Rücken zugewandt, als er aus ihrem Schlafzimmerfenster blickte, erschüttert durch die Erinnerungen an seine Familie, die Kraft ihres Elements und die Macht seiner eigenen Gefühle. Über ihm glitzerten Sterne am Nachthimmel. Unter ihm wiegten sich weiße Siebensterne sanft in der Brise. Das führte dazu, dass er sich vom Universum umhüllt fühlte, während er um sich herum verschiedene Sternbilder sah. Die Wirkung war hypnotisch und beschwichtigend. Judith hatte hier eine perfekte Zufluchtsstätte geschaffen, diese Frau mit ihren erstaunlichen Gaben.
Er drehte sich zu ihr um und gestattete seinem Blick, über sie zu gleiten und ihren Anblick in sich aufzusaugen, sie in sich aufzunehmen. Er hätte sie bis in alle Ewigkeit anschauen können.
Weitere Kostenlose Bücher