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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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ich mich auch. Da stellt man netterweise ein Grundstück für die Jugend zur Verfügung und soll dann schuld sein. I bin ned schuld. Schuld san scho die Eltern, die nimmermehr erziehn!
    Xaver Fischer, Ohlstadt

    Irmi starrte auf den Namen. Dann auf die Kopien weiterer Zeitungsberichte und Aussagen. Fingerte anschließend fieberhaft in den Kopien herum. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff. Massive Bürgerproteste hatten den Gemeinderat auf den Plan gerufen, der sich natürlich in der Pflicht gesehen hatte, sich zu rechtfertigen. Er hatte den Bauwagen ja schließlich toleriert, nein, mehr noch, er hatte ihn sogar als Jugendtreff am Riegsee gutgeheißen. Natürlich hatte der Gemeinderat verlauten lassen, dass man nicht unter Kontrolle habe, was und wie viel dort getrunken werde. Die beiden verantwortlichen Burschen jedenfalls seien neunzehn und einundzwanzig Jahre alt und damit volljährig und mündig.
    Pah, dachte Irmi. Genau so zieht ihr euch aus der Affäre! Schiebt die Verantwortung auf die beiden Jugendlichen, die offenbar nur vom nominellen Alter her erwachsen waren. Die beiden Jungs hatten angegeben, nichts außer Bier ausgeschenkt zu haben, und wenn hier Leute auftauchten, die schon mal vorgeglüht hatten, sei das ja nicht ihre Schuld. Und wenn ein Mädchen kleine Feiglinge in der Hosentasche hatte, sei das auch nicht ihr Problem. »Soll ich die durchsuchen?«, hatte der eine gesagt. »Dann bin ich gleich dran, weil ich die unsittlich berühr.«
    Das konnte man nun glauben oder nicht. Irmi war davon überzeugt, dass da auch ganz andere Getränke über oder unter den Tresen gingen. Aber wenn alle zusammenhielten?
    Inmitten der Diskussion war ein Mann ins Visier geraten, ein Landwirt, der den Grund für den Bauwagen zur Verfügung gestellt hatte. Ein Grundstück am Waldrand, sein Name: Xaver Fischer.
    Fischer hatte sich als Wohltäter aufgespielt, der nun missverstanden wurde. Er hatte den Vorstoß des Gemeinderats unterstützt, dann eben einen besseren Weg für die Partygänger auszuweisen. Niemand hatte überhaupt in Erwägung gezogen, dass der ganze Bauwagen falsch sein könnte. Dass dieser Umgang mit Alkoholismus bei Jugendlichen der falsche war. Es war unglaublich! Fischer hatte die Eltern attackiert. Sie verletzten die Aufsichtspflicht, und für die neunzehnjährige Fahrerin hatte er auch nur ein »Pech halt« parat gehabt.
    Irmi fragte sich, wie das alles auf Martin gewirkt haben musste. Dein eigenes Kind kommt ums Leben, und alle solidarisieren sich mit denen, die zumindest eine Teilschuld tragen. Niemand zeigt Rückgrat, du hast das Liebste verloren, und zusätzlich schlagen sie dir noch ins Gesicht. Eine Ohrfeige nach der anderen.
    Und dann ist da ein Xaver Fischer, der selbstgefällige Leserbriefe an die Zeitung schreibt. Wie fühlst du dich? Im Stich gelassen. Niemand konnte es Eltern verdenken, wenn sie Selbstjustiz in Erwägung zogen – auch sie als Polizistin konnte solche Menschen verstehen. Wenn all die Instanzen, die eigentlich reagieren sollten, den Kopf einzogen und den Schwanz einklemmten, was blieb einem dann?
    Martin war in einem ganz anderen Zusammenhang über Xaver Fischer gestolpert. Was, wenn er die Chance zur Rache genutzt und Fischer umgebracht hatte?
    Für einen Moment war alle Energie aus Irmi gewichen. Es fiel ihr schwer, strategisch zu denken. Sollte sie als Erstes ihr Team informieren? Doch sie verwarf den Gedanken. Die hatten sich so auf den Russen eingeschossen! Außerdem musste sie erst einmal ihr aufgewühltes, verwirbeltes Inneres wieder in Balance bringen.
    Sie beschloss, jenen Ort aufzusuchen, wo der Bauwagen stand. Solche Lokaltermine – offizielle oder ganz private – halfen ihr und setzten immer auch Emotionen und Ideen frei. Irmi parkte in Aidling an der Kirche St. Georg. Sie warf einen kurzen Blick in die Rokokokirche mit ihren bereits klassizistisch geprägten Altären. Dabei beruhigte sie sich, ihr Atem ging regelmäßiger. Der kleine Dorfladen war gerade geschlossen, ein Traktor schepperte vorbei.
    Ein älteres Ehepaar in Wanderkleidung studierte eine Karte, und Irmi wurde unfreiwillig Zuhörerin des Gesprächs.
    »Da steht doch Aidling! Und wir sind in Aidling. Wieso hat uns der junge Mann denn so einen Unsinn erzählt?« Der Mann wandte sich um und entdeckte Irmi. »Sind Sie von hier?«
    »Nicht direkt, aber ortskundig.« Irmi lächelte.
    »Wir sind doch in Aidling?«
    »Ja, sind Sie.«
    »Da hat uns vorher so ein Lümmel total veräppelt und behauptet, wir

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