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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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wären ganz woanders gelandet«, echauffierte sich die Frau.
    Irmi grinste. »Er hat sie nicht veräppelt. Er hat Sie lediglich nicht verstanden. Man spricht den Ort ›Oaling‹ aus.«
    Mit einem unterdrückten Lachen und einem »Schönen Tag noch« flüchtete sie. Immer diese Sprachprobleme! Eigentlich war sie den beiden dankbar. Solche kleinen Begebenheiten nahmen den schier ausweglosen Situationen ihres Berufslebens die Schwere.
    Langsam ging sie dorfauswärts auf dem kleinen Sträßchen, das Richtung Höhlmühle führte. Nach einer Weile gelangte sie an einen Feldweg, wo an den Hang gelehnt ein Stadel stand – und der Bauwagen. Er war mit allerlei Totenköpfen besprüht, davor waren ein paar Gartenstühle verstreut. Eigentlich ein lauschiger Platz, Irmi bezweifelte allerdings, dass den Kids die Aussicht so wichtig war.
    Es war ein Tag, an dem wieder Wolken zogen, und Irmi hatte fast das Gefühl, als werde sie von ihnen davongetragen. Sie ließ sich von den Wolken treiben und stieg hinauf auf die Aidlinger Höhe. Der Blick ging weit ins Gebirge. Der harsche Berg, der sich wie ein gewaltiger Dinosaurierrücken im Osten aus der Ebene erhob, war die Benediktenwand. Es folgten die oberbayerischen Kultberge Herzogstand und Heimgarten. Drunten lag der See. Die Moorlandschaft hatte sich in einer Palette von Rosé bis Dunkelrot verfärbt. Über allem lag ein bläulicher Dunst – jene Farbe, die dem Blauen Land den Namen gegeben und all die Maler inspiriert hatte. Schön, hier könnte man auch leben, dachte Irmi.
    Sie war unschlüssig, was sie tun sollte, und stieg ein kurzes Stück in eine Wiesensenke, überkletterte einen Zaun und fand sich auf dem Höhenweg wieder. Den hatte sie immer schon mal gehen wollen, warum nicht heute? Das Laub raschelte unter ihren Füßen und verdeckte all die Wurzeln, die den Waldweg durchzogen. Man musste sich aufs Gehen konzentrieren, und das war gut so. Irmi hatte mal irgendwo gelesen, dass dies ein bronzezeitlicher Fernhandelsweg gewesen war und Aidling ein wichtiger Knotenpunkt. Die Wege waren weiland auf den Hügelkämmen verlaufen, die Täler waren versumpft, ein einziger Kampf gegen Morast und Stechmücken! Da fast alle Lasten in der frühen Bronzezeit auf dem Rücken von Menschen befördert wurden, hatte ein Trampelpfad genügt. Die Wege hatten bis ins 13. Jahrhundert eine große Bedeutung gehabt – bis die Waren weitgehend auf Wagen in den inzwischen trockengelegten Tälern transportiert wurden.
    Eigentlich war es doch lächerlich, wie sehr man sich im Hier und Jetzt aufregte. Wo man doch nur einen Wimpernschlag lang Gast war auf der Erde.
    Irmi stapfte weiter, stieg über einen ziemlich glitschigen Weg ab und landete an der Höhlmühle. Hier hatte sie einmal mit ihm gesessen, und er hatte wie so oft die Geschichte dieses wunderbaren Ortes gekannt. Der Besitzer der Ölmühle hatte um 1850 viel Geld in der Lotterie gewonnen und sich einen Traum erfüllt: das Forsthaus Höhlmühle, eine Mehl- und Getreidemühle mit Sägewerk und kleiner Schankwirtschaft. Im Jahre 1910 wurde die Höhlmühle von Ottmar von Poschinger-Camphausen gekauft, einem bayerischen Kämmerer, Rittmeister und Gutsherr auf Riegsee. Er baute das Anwesen in ein Forsthaus mit Gaststätte um – der Konzessionsantrag im Jahr 1911 an das Landratsamt Weilheim war übrigens das erste mit Schreibmaschine geschriebene Schriftstück, das die dortigen Mitarbeiter je gesehen hatten!
    Damals hatten sie im Biergarten gesessen, heute ging Irmi lieber in die Stube hinein. Sie bestellte sich ein Hirschgulasch. Schließlich musste man auch mal was Ordentliches essen. Ein kleines Bier dazu – hier sah ja keiner, dass sie eine Preißnhalbe trank!
    Als sie wieder hinausging, standen die beiden Wanderer aus Aidling an ihrem Auto und studierten wieder einmal die Karte.
    Der Mann winkte ihr zu. Irmi kam näher.
    »Fahren Sie zufällig nach Oaling?«, erkundigte sie sich lachend.
    »Eigentlich nach Murnau«, meinte der Mann. »Diese kleine Straße führt doch da hin?«
    »Ja, durchaus. Würde es Ihnen was ausmachen, den Schlenker über Oaling zu machen?«
    Die beiden sahen Irmi zweifelnd an, die daraufhin ihren Polizeiausweis zückte.
    »Kripo, ich bin sozusagen undercover unterwegs. Sie täten mir und der Gerechtigkeit einen großen Gefallen.«
    Sie verbarg ihr Grinsen und versuchte ernst zu schauen. Die beiden waren so beeindruckt, dass sie fast salutiert hätten, als sie Irmi in Oaling aussteigen ließen. Das war sicher deren

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