Huff, Tanya
Vickis Finger hervor, schoß wie ein kleiner pelziger Wahnsinniger bellend
durch die Küche und sprang an dem Mann hoch, der gerade das Haus betreten
hatte. Dieser fing ihn, schwang ihn über seinen Kopf und drehte Daniel
kopfüber.
Vicki brauchte keine
Vorstellung. Die gleiche machtvolle Persönlichkeit, die Nadine auszeichnete,
hatte auch Stuart, und er war definitiv sehr männlich. Er war auch
nackt, und das verlieh letzterer Feststellung zusätzlich beträchtliches
Gewicht. Vicki mußte zugeben, daß sie positiv beeindruckt war, wenn sie mit
1,78 m auch gut zehn Zentimeter größer war als er. Gemessen an menschlichen
Maßstäben - und andere hatte sie von Henrys Warnung abgesehen nicht - schien er
ungefähr fünf Jahre jünger als seine Frau zu sein. Sein Haar - sein gesamtes
Haar, und es gab eine ganze Menge davon auf seinem ganzen Körper - zeigte kein
Grau.
„Stuart... ",
Nadine zog ein paar blaue Trainingshosen von ihrer Stuhllehne und warf sie
ihrem Ehemann zu.
Er fing sie mit einer
Hand, klemmte Daniel unter den anderen Arm und starrte sie voll Abscheu an.
Dann drehte er sich um und sah Vicki direkt an. „Ich mag Kleidung nicht, Ms.
Nelson", erklärte er, wobei er sich offensichtlich ebenso ihrer Identität
bewußt war wie sie sich der seinen. „Sie hält die Verwandlung auf, und in
dieser Hitze ist sie verdammt unbequem. Wenn Sie eine Weile hierbleiben,
werden Sie sich daran gewöhnen müssen, daß wir wenig anhaben."
„Es ist Ihr
Haus", erwiderte Vicki ruhig. „Es ist nicht an mir, Ihnen zu sagen, was
Sie tragen sollen."
Er musterte sie, dann
lächelte er, und sie hatte den Eindruck, daß sie eine Art Prüfung bestanden
hatte. „Menschen sorgen sich gewöhnlich um Kleidung."
„Ich spare mir meine
Sorgen für wichtigeres auf."
Henry unterdrückte ein
Lächeln. Seit sie sich kennengelernt hatten, hatte er versucht herauszufinden,
ob Vicki einfach unbegrenzt anpassungsfähig oder nur so zielstrebig war, daß
alles, was nicht zu ihrem augenblicklichen Ziel führte, ignoriert wurde. In
acht Monaten Beobachtung war er der Antwort nicht nähergekommen.
Stuart warf die
Jogginghose in die Ecke und streckte die Hand aus. „Sehr erfreut, Sie
kennenzulernen, Ms. Nelson."
Sie erwiderte sowohl
das Lächeln als auch den Händedruck und achtete darauf, nicht zu fest
zuzudrücken. Fest zudrücken bei einem nackten Werwolf. Klar. „Ebenfalls
sehr erfreut. Nennen Sie mich Vicki."
„Vicki." Dann
wandte er sich Henry zu, und durch die winzigste Veränderung wurde das Lächeln
zu etwas anderem. Er streckte wieder die Hand aus. „Henry Fitzroy."
„Stuart." Das
Lächeln war eine Warnung, keine Kampfansage. Henry erkannte und akzeptierte
das. Es konnte sich schnell in eine Herausforderung verwandeln, und keiner der
Männer wollte das. Solange Henry an seinem Platz blieb, würde die Lage zwischen
ihnen gespannt, aber stabil bleiben.
Daniel, den all das
Posieren der Erwachsenen nicht interessierte, drehte sich an der Seite seines
Vaters, merkte, daß dessen Griff locker genug war, um eine Verwandlung zu
gestatten, tat es und begann zu bellen. Sein Vater legte ihn gerade in dem
Moment ab, als die Fliegengittertür sich öffnete und Wolke und Sturm
hereinkamen.
Im nächsten Augenblick
ließen die beiden älteren Werwölfe sich von ihrem jüngeren Vetter angreifen.
Der Kampf wurde begleitet von viel Knurren und Schnappen und vorgetäuschtem -
zumindest nahm Vicki das an - Schmerzenswinseln. Da keiner der anderen
Erwachsenen wegen des Kampfes besorgt zu sein schien, nahm Vicki sich die Zeit,
ihre Umgebung zu mustern.
Die Küchenmöbel waren
schwer, alt und von den langen Jahren des Gebrauchs ein wenig schäbig. Am
Holztisch konnten mit Leichtigkeit acht sitzen und zwölf, ohne besonders eng
zusammenzurücken. Obwohl die Stühle an jedem Bein Bißspuren zeigten, waren sie
- zumindest nach dem, auf dem Vicki saß, zu schließen - stabil gearbeitet, und
alle vier Beine standen immer noch fest auf dem abgewetzten Linoleum. Das Sofa
unter dem Fenster neben der Hintertür, auf dem die Zwillinge hockten, war
wahrscheinlich in den Fünfzigern gekauft und seitdem nicht bewegt
worden. Der
Kühlschrank sah neu aus, ebenso der Elektroherd. Tatsächlich sah dieser so neu
aus, daß Vicki den Verdacht hegte, daß er selten benutzt wurde. Der alte Holzofen
in der anderen Ecke war wahrscheinlich nicht nur die einzige Wärmequelle im
Winter, sondern wurde auch hauptsächlich zum Kochen benutzt. Wenn sie
kochten. Sie hatte
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