Huff, Tanya
Das
Achselzucken war so minimal, daß es fast nicht existierte, und in ihrer Stimme
schwang keine Spur einer Entschuldigung mit. „Ich dachte mir, es wäre schwerer
für Sie, den Fall abzulehnen, wenn ich persönlich vor Ihnen stehe."
Vicki merkte, daß sie unwillkürlich die Tür weiter
öffnete. „Ich denke, Sie sollten besser hereinkommen." Arbeit war nicht so
rar, daß sie Aufträge von Kindern annehmen mußte, aber es würde nicht schaden,
sich anzuhören, was das Mädchen zu sagen hatte. „Weitere 30 Sekunden im Gang,
und Mr. Chin wird auftauchen, um zu sehen, was hier los ist."
„Wer ist Mr. Chin?"
„Der alte Mann, der unten wohnt, weiß gern, was vor
sich geht, und gibt gern vor, kein Englisch zu sprechen."
Das Mädchen schlüpfte an Vicki vorbei in den engen
Flur und rümpfte mißbilligend die Nase. „Vielleicht spricht er wirklich kein
Englisch", erklärte sie.
Diesmal machte Vicki sich gar nicht erst die Mühe, ihr
Lächeln zu unterdrücken. „Mr. Chin spricht schon wesentlich länger Englisch,
als wir beide leben. Seine Eltern kamen vor 1890 nach Vancouver. Er unterrichtete
hier an der High School. Er gibt im chinesischen Gemeindezentrum immer noch
Englisch als Fremdsprache."
Leuchtend grüne Augen wurden anklagend
zusammengekniffen, und das Mädchen funkelte sie wütend an. „Ich mag es gar
nicht, wenn man mich gönnerhaft behandelt", sagte sie.
Vicki nickte und schloß die Tür. „Ich auch
nicht."
In der folgenden Stille konnte Vicki fast hören,
wie ihre Unterhaltung wieder abgespielt und jeder Satz, jedes Wort auf Nuancen
untersucht wurde.
„Oh", sagte das Mädchen schließlich. „Es tut
mir leid." Dann glättete sich ihre Stirn wieder, und sie grinste, als sie
einen Kompromiß anbot. „Ich werde es nicht mehr tun, wenn Sie es nicht mehr
tun."
„Also abgemacht." Vicki führte sie durch ihr
winziges Wohnzimmer, wobei sie im Vorbeigehen ihren Ledersessel wieder
hochklappte, in ihr ebenfalls winziges Büro. Sie hatte tatsächlich noch nie
zuvor einen Klienten oder einen potentiellen Klienten in ihrem Büro gehabt,
daher gab es ein paar unerwartete Probleme. „Ich hole noch einen Stuhl aus der
Küche."
„Schon gut. Die hier reicht mir." Sie zog den
Mantel aus, ließ sich auf Vickis Hantelbank nieder und legte ihn neben sich.
„Also, was diesen Auftrag angeht... "
„Noch nicht." Vicki zog ihren Stuhl unter dem
Schreibtisch hervor und setzte sich. „Erst mal, was Sie angeht. Ihr Name?"
„Coreen Fergus." Sie fuhr im gleichen Atemzug
fort, da sie offensichtlich das Gefühl hatte, ihr Name enthalte alle
notwendigen Details. „Ich will, daß Sie den Vampir finden, der die Stadt
terrorisiert."
„Gut." Es war zu früh an einem Montag, und der
letzte Todesfall war noch zu nah. „Hat Mike Celluci das ausgeheckt?"
„Wer?"
„Ist egal." Kopfschüttelnd stand Vicki auf.
„Schauen Sie, ich will gar nicht wissen, wer das ausgeheckt hat, aber Sie
können zu ihm zurückgehen und... "
„Ian Reddick war mein... " Sie runzelte die
Stirn und suchte nach einem Wort, das der Beziehung das nötige Gewicht
verlieh. „... Geliebter."
„Ian Reddick", wiederholte Vicki und setzte
sich wieder. Ian Reddick, das erste Opfer. Die Leiche, die sie verstümmelt in
der U-Bahn-Station gefunden hatte.
„Ich will, daß Sie dieses Ding finden, das ihn getötet
hat."
„Schauen Sie, Coreen." Ihre Stimme nahm den
professionellen, „tröstenden Tonfall" an, den Polizeibeamte auf der
ganzen Welt beherrschen müssen. „Mir ist klar, wie durcheinander Sie sein
müssen, aber glauben Sie nicht, daß das die Aufgabe der Behörden ist?"
„Nein, das glaube ich nicht."
Es lag etwas absolut Hartnäckiges in diesem
„Nein." Vicki schob ihre Brille die Nase hoch und suchte nach einer
Antwort, während Coreen fortfuhr:
„Sie beharren darauf, nach einem Menschen zu suchen
und weigern sich zuzugeben, daß die Zeitung recht haben könnte; sie weigern
sich,
etwas in Betracht zu ziehen, was außerhalb ihrer
engen kleinen Weltsicht liegt."
„Sie weigern sich, in Betracht zu ziehen, daß der
Mörder tatsächlich ein Vampir sein könnte?"
„Ja."
„Die Zeitungen glauben auch nicht daran, daß es ein
Vampir ist, wissen Sie."
Coreen warf ihr Haar aus dem Gesicht, „Ja und? Die
Fakten passen. Das Blut fehlt immerhin. Ich wette, Ian wäre auch ausgesaugt
worden, wenn man ihn nicht so schnell gefunden hätte."
Sie weiß nicht, daß ich ihn gefunden habe. Dem
Himmel sei Dank. Wieder sah sie ihn vor sich, sein
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