Huff, Tanya
Gesicht eine klischeehafte
Maske des Entsetzens über der klaffenden roten Wunde, die seine Kehle war.
Klaffende rote Wunde... nein, mehr, als sei die gesamte Vorderseite seiner
Kehle weggerissen worden. Nicht zerrissen, weggerissen. Das war es, was an der
Leiche seltsam gewesen war. Die Ungereimtheit, die schon seit über einer Woche
an ihr nagte. Wo war die Vorderseite von Ian Reddicks Kehle hingekommen?
„... also werden Sie es tun?"
Vicki tauchte allmählich wieder aus ihren
Erinnerungen auf. „Damit wir uns richtig verstehen: Sie wollen, daß ich Ians
Mörder finde und dabei davon ausgehe, daß er ein Vampir ist? Fledermäuse,
Särge, das ganze Zeug?"
„Jawohl."
„Und sobald ich ihn gefunden habe, ramme ich ihm
einen Pflock ins Herz?"
„Kreaturen der Nacht kann man kaum vor Gericht
bringen", erklärte Coreen sachlich, aber mit einem kriegerischen Leuchten
in den Augen. „Ian muß gerächt werden."
Traure nicht, räche dich. Es war eine klassische
Lösung für Kummer, die Vicki nicht völlig mißbilligte. „Und warum ich?"
fragte sie.
Coreen setzte sich noch aufrechter hin. „Sie waren
die Privatdetektivin in den Gelben Seiten."
Das zumindest ergab Sinn und erklärte den unheimlichen
Zufall, daß Coreen im Büro der Frau aufgetaucht war, die Ians Leiche gefunden
hatte. ,,Von allen Kaschemmen der ganzen Welt..." Sie konnte sich nicht
mehr
an den Rest des Zitats erinnern, aber sie begann zu
verstehen, wie Humphrey Bogart sich gefühlt hatte. „Es wäre nicht ganz
billig." Warum warne ich sie überhaupt? Ich werde nicht auf die Vampirjagd
gehen.
„Ich kann mir das Beste leisten. Paps zahlt mir
eine phänomenale Summe, weil er sich schuldig fühlt. Er ist mit jemandem aus
seiner Kanzlei durchgebrannt, als ich mit der High School anfing."
Vicki schüttelte den Kopf. „Meiner ist mit seiner
Sekretärin abgehauen, als ich in der 6. Klasse war, und ich habe nie einen
Cent gesehen. So ändern sich die Zeiten. War sie wenigstens jung und
hübsch?"
„Er", korrigierte Coreen. „Und ja, er war sehr
hübsch. Sie haben eine neue Kanzlei auf den Bahamas aufgemacht."
„Wie gesagt, so ändern sich die Zeiten." Vicki
schob ihre Brille die Nase hoch und seufzte. Vampirjagd also. Aber das brauchte
es ja nicht zu sein. Finde einfach heraus, wer auch immer oder was auch immer
Ian Reddick getötet hat. Genau das, was sie getan hätte, wenn sie immer noch
bei der Truppe wäre. Gott wußte, daß sie unterbesetzt waren und Hilfe brauchen
konnten.
Coreen, die das Gesicht der älteren Frau nicht aus
den Augen gelassen hatte, lächelte triumphierend und kramte nach ihrem
Scheckbuch.
„Mike Celluci, bitte."
„Einen Augenblick bitte."
Vicki trommelte mit den Nägeln auf dem Telefon
herum, währen sie darauf wartete, durchgestellt zu werden. Ian Reddicks Kehle
hatte gefehlt, und Celluci, das arrogante Arschloch, hatte nicht dran gedacht
zu erwähnen, ob sie gefunden worden war oder ob die anderen Leichen im gleichen
Zustand gewesen waren. Daß er nicht mit ihr redete, kümmerte sie nicht wirklich,
weil sie verdammt noch mal mit ihm reden würde.
„Kriminalpolizei, Detective-Sergeant Dave
Graham."
„Dave? Hier ist Vicki. Ich muß unbedingt mit Mike
sprechen."
„Er ist im Augenblick nicht da, Vicki. Kann ich dir
weiterhelfen?"
Aus ihrer kurzen Bekanntschaft wußte Vicki, daß
Dave womöglich ein noch schlechterer Lügner war als sie. Und wenn er wegen
wichtiger Dinge nicht überzeugend lügen konnte, dann konnte er es mit
Sicherheit nicht, um den Arsch seines Partners zu schützen. Man konnte sich darauf
verlassen, daß Celluci verschwand, ehe es zu heiß wurde. „Du kannst mir einen
Gefallen tun."
„Schieß los."
Die Wortwahl war hier entscheidend. Es mußte
klingen, als wisse sie mehr, als tatsächlich der Fall war, oder Dave würde
zuklappen wie eine Auster und sich auf die offizielle Linie des Präsidiums
zurückziehen. Andererseits würde sich mit etwas Glück die angelernte
Verhaltensweise, ihre Fragen zu beantworten, in der Abteilung noch jahrelang
halten. „Das Stück Kehle, das bei der ersten Leiche fehlte, hat das jemand gefunden?"
„Nein."
So weit, so gut. „Und was ist mit den
anderen?"
„Auch da keine Spur."
„Nicht mal bei dem von letzter Nacht?"
„Bisher noch nicht. Warum fragst du?"
„Ich habe nur gerade nachgedacht. Danke dir, Dave.
Richte deinem Partner von mir aus, er ist ein verkniffener Pferdearsch."
Sie legte auf und starrte auf die gegenüberliegende Wand.
Weitere Kostenlose Bücher