Huff, Tanya
ziemlich genaue Vorstellung davon,
wessen Blut sie gerade gefunden hatte, aber sie strich die übrigen Flocken
trotzdem in einen Plastikfrühstücksbeutel. Dann ging sie in die Hocke und
führte die Klinge im Spalt an der Oberkante des Lochs nach oben.
Sie war sich nicht sicher, warum sie das tat. Das
meiste von Ian Reddings Blut war über die Wand des U-Bahnhofs gespritzt. Es
konnte nicht genug Blut auf der Kleidung des Mörders gewesen sein, um den
ganzen Weg durch einen Spalt in 15 cm Beton zu sickern, selbst wenn er Papierhandtücher
getragen und die ganze Nacht an der Wand geklebt hätte.
Als sie das Messer herauszog, fanden sich gemischt
mit Erde und ein bißchen Zement ähnliche rotbraune Flocken. Diese kamen in
einen anderen Beutel, und sie wiederholte rasch die Prozedur am unteren Rand
des Loches - mit dem gleichen Ergebnis.
Das Dröhnen der U-Bahn wurde zur willkommenen,
normalen Art von Schrecken, denn die einzige Erklärung, die Vicki einfiel,
während die Nische bebte und hundert Tonnen Stahl vorbeisausten, war, daß was
immer auch Ian Reddick getötet hatte irgendwie durch den Spalt in der Betonwand
gegangen war.
Und das war lächerlich. Oder?
Als größter Produzent und Großhändler von
Polyesterkleidung besaß Sigman's Incorporated nicht gerade ein
Hochsicherheitsgebäude. Seit dem Mord an Terri Neal in der Tiefgarage hatte man
versucht, das ein wenig strenger zu handhaben.
Trotz viereinhalb Seiten neuer
Zugangsbeschränkungen blickte der Wachmann in der Eingangshalle nur kurz hoch,
als Vicki vorbeiging, und widmete sich dann wieder seinem Buch. In grauen
Cordsamthosen, schwarzen Kampfstiefeln und marineblauem Colani-Pulli hätte sie
jede der Hunderte von Frauen sein können, die jeden Tag hier durchkamen, und
man erwartete weder von ihm, jede davon aufzuhalten, noch ermutigte man ihn
dazu. Sie war mit Sicherheit nicht von der Presse - der Wachmann hatte Übung
darin, die Damen und Herren des fünften Standes zu erkennen und sie zu den
richtigen Behörden zu scheuchen. Sie sah auch nicht wie ein Bulle aus, und
außerdem meldeten sich Bullen immer an. Sie sah aus, als wüßte sie, wohin sie
wollte, daher beschloß der Wachmann, sich nicht einzumischen. Seiner Meinung
nach konnte die Welt ein paar Leute mehr gebrauchen, die wußten, wohin sie
wollten.
Um 14:30 war die Tiefgarage menschenleer, was genau
der Grund war, warum Vicki um diese Zeit hier war. Sie trat aus dem Fahrstuhl
und blickte mißbilligend auf die summenden Neonröhren. Warum zum Teufel haben
sie hier unten keine Überwachungskameras? fragte sie sich, als das Echo ihrer
Schritte von den verschmutzten Betonwänden widerhallte.
Selbst ohne die schmutzigen, verblichenen
Kreidestriche hätte sie sagen können, wohin die Leiche gefallen war. Die
umgebenden Autos waren zusammengedrängt worden und hinterließen eine ungefähr
drei Parkplätze große Freifläche, als sei gewaltsamer Tod irgendwie
ansteckend.
Sie fand, weswegen sie gekommen war, fast unter
einer antiken, rostigblauen Limousine versteckt. Sie nagte an der Unterlippe,
zog das Messer und kniete neben dem Spalt nieder. Die Klinge glitt ihre
gesamten 15 cm Länge hinein, aber der Boden des Risses war noch tiefer. Die
rotbraunen Flocken, die mit dem Stahl herauskamen, waren mit Sicherheit nicht
von der Rostlaube getropft.
Sie setzte sich auf die Fersen und runzelte die
Stirn. „Mir gefällt das alles gar nicht."
Sie fischte eine Murmel aus den Tiefen ihrer
Tasche, legte sie auf einen der verbliebenen Kreidestriche und versetzte ihr
einen Schubs. Sie rollte auf die Wand zu und entfernte sich in einem Winkel von
fast 45° von dem Spalt. Weitere Experimente erbrachten ein ähnliches Ergebnis.
Blut konnte auf keine Weise, die man natürlich nennen konnte, vom Körper zum
Spalt gelaufen sein.
„Nicht, daß auch nur etwas entfernt Natürliches an
irgendetwas davon wäre", murmelte sie, verstaute den dritten
Frühstücksbeutel mit geronnenem Blut neben den anderen und krabbelte hinter
ihrer Murmel her.
Statt durchs Gebäude zurückzugehen, kletterte sie
die steile Einfahrt hinauf und trat auf die St. Clair Avenue West.
„Entschuldigen Sie?"
Der Parkwächter blickte von seiner Zeitschrift auf.
Vicki machte eine Handbewegung die Auffahrt
hinunter in Richtung Tiefgarage. „Wissen Sie, was unter der letzten
Betonschicht liegt?"
Er schaute in die Richtung, in die sie zeigte, sah
wieder sie an und wiederholte: „Unter dem Beton?"
„Ja."
„Erde, meine Dame."
Sie lächelte
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