Huff, Tanya
Juni,
Sonnenaufgang ist um 4:14 Uhr. Du hast doch heute nacht gar keine Zeit mehr,
noch irgend etwas zu unternehmen. Also überlasse doch bitte der Polizei die
Sache!"
„Die Geister wollen, daß Henry ihre Tode rächt..."
„Dann soll Henry den Anruf bei der Polizei machen. Es ist
die einzige Art, dafür zu sorgen, daß auch wirklich alle, die an dieser Sache
beteiligt sind, kriegen, was sie verdienen."
Vicki bleckte die Zähne. „Wenn sie dir weh tun, Mike
..."
„Dann kannst du ihnen auch weh tun." Celluci war sich
ganz sicher, daß ihm nichts geschehen würde - sonst hätte er Vicki dieses
Zugeständnis nicht gemacht. Deren Antwortlächeln fiel genauso aus, wie er es
befürchtet hatte. „Das ist der einzige Weg, alle Eventualitäten zu berücksichtigen,
Vicki! Ich verlange ja gar nicht, daß du darüber glücklich bist. Ich verlange
einfach nur, daß wir so vorgehen. Leg mir einfach die Fesseln wieder an, und
dann verschwindet ihr, und in ein paar Stunden ist alles vorbei."
„Wenn Swanson stirbt... wenn du ihn umbringst, ... dann
ist das mehr, als ich zu ignorieren bereit bin, ... da ziehe ich den
Schlußstrich."
Diese Worte hingen zwischen ihnen in der Luft.
Wenn sie Mike aus der Klinik trug, würde er ihr das nie
verzeihen, da war sich Vicki ganz sicher. Wenn sie ihn verließ und Henry sofort
die Polizei hierherschickte - was konnte da schiefgehen?
An Celluci hing immer noch der Duft einer anderen Frau -
und Vicki hoffte seinetwegen, es sei der der Frau mit der Spritze, weshalb ein
zweideutiges Lächeln auf ihrem Gesicht lag, als sie dem Freund nun wieder die
Fesseln anlegte. „Irgendwie bringt mich die Sache ja auch auf Ideen!" Als
ein sanftes Streichen über die Innenseite von Cellucis bloßen Armen ihm sofort
eine Gänsehaut bescherte, packte sie den Hosenbund seiner Jeans mit den Zähnen
und zog daran.
„Vicki!"
„Michael..."
„Fitzroy, würden Sie bitte dafür sorgen, daß sie hier
verschwindet?"
Vicki warf dem anderen Vampir einen warnenden Blick zu.
Nachdenklich hob Henry eine Braue. „Er sieht ja ungeheuer appetitlich aus,
aber ich befürchte, jetzt ist nicht der rechte Zeitpunkt."
Mike stöhnte auf, als Vicki mit einem Hechtsprung über das
Bett setzte, eine Hand immer noch an seiner Hüfte. „Wenn du ihn auch nur anrührst",
zischte sie, „dann reiße ich dich in Stücke, die so klein sind, daß du
..." Dann hielt sie inne, richtete sich auf und runzelte die Stirn. „Das
hast du mit Absicht gemacht!"
„Ja." Wie schnell sich ihre territoriale Reaktion
abrufen ließ, trotz aller Fortschritte, die sie gemacht hatten. Henry blickte
von Vicki zu Celluci, der im Hintergrund mit seinen Fesseln kämpfte und mußte
sich eingestehen, daß Vickis Reaktion wohl auch vor der Wandlung nicht anders
ausgefallen wäre und von daher nicht als territoriale Reaktion bezeichnet
werden konnte. „Seien Sie unbesorgt, Detective, ich trinke eigentlich nie um
diese Uhrzeit. Sag Celluci ,Auf Wiedersehen', Vicki, und dann laß uns
gehen."
Leise vor sich hinfluchend wandte sich Vicki wieder dem
Bett und Mike Celluci zu. Sie beugte sich hinunter, ließ ihren Mund direkt über
seinen Lippen schweben, so daß sie bereits seinen Atem
schmecken konnte und sagte: „Ich weiß gar nicht, ob ich das überhaupt schaffe:
hier einfach rausgehen und dich allein zu lassen."
„Rede bloß keinen Schwachsinn: Es gibt nichts, was du
nicht kannst."
„Bevormunde mich nicht, Celluci!"
„Dann hör du auf, dich so melodramatisch zu gebärden. Mir
passiert nichts, bis die Polizei kommt." Seine Lippen streiften die ihren.
„Geh jetzt."
„Laß uns lieber vorne rausgehen. Die Hintertür hat
wahrscheinlich eine Alarmanlage."
„Die ich aber nicht sehen kann." Rasch fuhr Vicki mit
dem Finger die Türkanten entlang. „Ich fühle auch kein Kabel. Unser Wagen steht
gleich hier vor der Tür. Tun wir doch einfach, was Mike gesagt hat: Sehen wir
zu, daß wir hier verschwinden." Sie drückte gegen den Türöffner; die
Geräusche in der Klinik blieben unverändert. „Siehst du, kein Alarm. Hier
schlafen schließlich auch Kranke, die sollen wahrscheinlich nicht durch Lärm
verschreckt werden. Komm schon! Ein kleiner Wettlauf bis zum Auto!"
Wie Henry bereits festgestellt hatte: Es bedurfte nur
einer kleinen Provokation, um eine territoriale Reaktion hervorzurufen. Sobald
Vicki rannte, konnte er nicht anders, er mußte ihr folgen. Beide liefen so
schnell, daß ein menschliches Augen ihrem Lauf nicht hätte folgen können und
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