Huff, Tanya
ungeöffnete Flasche Scotch. „Ich versuche weiterhin, mich um den Verstand
zu saufen. Gott sei Dank habe ich immer
eine Reserveflasche da." Nach drei Ansätzen gelang es ihr, das Papier
abzureißen, das über dem Verschluß der Flasche klebte. „Ich laufe schon
nicht weg; darauf gebe ich Ihnen mein Wort."
„Und warum laufen Sie nicht weg? Sie müssen doch
mindestens mit einer Mordanklage rechnen!" fragte Vicki
und schüttelte Cellucis Hand ab.
„Sie sind immer noch beim selben Thema, nicht? Ihre
Mutter." Dr. Burke seufzte und starrte nachdenklich in
die bernsteingelbe Flüssigkeit in ihrem Becher, ehe sie antwortete. „Nach Donalds Tod habe
ich das Interesse an dem ganzen Spiel
verloren." Die Flasche in ihrer Hand wur de zu einem silbernen Sarg. Dr. Burke lief ein Schauder über den Rück en.
Sie hob den Kopf und blickte durch Vickis Brillengläser hindurch der jüngeren Frau direkt in die Augen. „Im großen
und ganzen - und ich bitte um
Entschuldigung, Ms. Nelson, falls diese Formulierung Sie irgendwie beleidigen
sollte, aber es ist die einzige passende - im großen und gan zen schert
mich das alles nicht mehr."
Dr. Burke sagte die Wahrheit. Das konnte
Vicki, durch ihren eigenen Kummer, ihre eigene Wut, ihre eigene
Verwirrung hindurch deutlich sehen. „Komm schon, Mike!" Sie hängte sich
den Riemen ihrer Umhängetasche über die Schulter und wies mit einer abrupten
Kopfbewegung zur Tür. „Die läuft uns im Augenblick nicht
weg."
„Du glaubst
ihr?"
Vicki blickte Dr. Burke erneut prüfend ins Gesicht und
fand ihre Ein schätzung dort noch einmal bestätigt. „Ja,
ich glaube ihr." An der Tür blieb Vicki ein letztes
Mal stehen. „Eins noch: im Moment mag Sie das alles nicht mehr scheren, aber wenn Sie
sich einbilden, Sie könnten Ihr Wissen um
Henry irgendwann einmal in irgendwelchen Verhandlungen als Unterpfand
einsetzen ..."
„Irgendwann
einmal", unterbrach sie Dr. Burke, die Whiskeyflasche mit beiden Händen umklammernd, um auch nicht
einen Tropfen zu ver schütten,
„irgendwann einmal, da kann ich Vampir, Vampir' brüllen, bis ich schwarz werde. Dann habe ich nämlich kein
wirkliches Wesen mehr vorzuweisen,
an dem man Tests ausführen könnte, und niemand wird mir auch nur ein einziges Wort glauben.
Leichendiebstahl macht einen in der wissenschaftlichen
Welt auch nicht gerade glaubwürdiger."
„Vom Mord an einem Ihrer Doktoranden ganz zu
schweigen", stellte Celluci trocken
fest.
Dr. Burke schnaubte
und hob ihren Becher zu einem sarkastischen Gruß:
„Wenn Sie sich da mal nicht täuschen."
„Verdammter Mist!" Völlig
frustriert schlug Celluci mit der flachen Hand
gegen die Wand. „Das ist ja das reinste Labyrinth hier! Korridore führen
nirgendwo hin, von Seminarräumen gehen irgendwelche verbor genen Büros ab, und Labore tauchen aus dem Nichts
auf..."
Vicki ließ den starken Strahl ihrer
Taschenlampe durch den Flur gleiten, in dem sie sich gerade befanden. Die
überall in dem alten Gebäude brennende Notbeleuchtung ließ Vicki genug sehen,
um nicht ständig gegen irgendwelche Sachen zu laufen, nicht genug allerdings,
um die Sachen, gegen die sie nicht lief, auch wirklich erkennen zu können. Nur
in dem von ihrer Taschenlampe ausgeleuchteten Bereich konnte sie einzelne
Gegenstände deutlich sehen. Vicki kam es so vor, als bewege sie sich in den
Diaaufnahmen eines bizarren Urlaubs und würde eine Szene im mer
gerade dann betreten, wenn diese gegen eine neue ausgetauscht wur de.
Vickis Nerven glichen Tauen, die zum Zerreißen gespannt waren, und sie meinte fast, sie
bei jedem einzelnen Schritt knarren zu hören.
In diesem Haus
wanderte ihre tote Mutter umher.
Immer, wenn Vicki den Lichtstrahl, der ihr
klare Sicht verschaffte, ein Stück weiter gleiten ließ, fragte
sie sich, ob sie wohl diesmal ihre Mutter se hen würde. Und wenn dann
doch nur wieder ein leerer Raum auftauchte, ein leeres Stück
Korridor, dann fragte sie sich: Steht sie in diesem Moment ge nau neben mir in der Dunkelheit? Unter der Jacke und dem Pullover klebte Vicki
das Hemd am Körper, und ständig mußte sie die Taschenlampe von ei ner
Hand in die andere wechseln, um ihre Handflächen abzutrocknen.
„Das geht so nicht." Vicki ließ den Arm sinken, und
bis auf eine Lichtpfütze, die um ihre Füße spielte, versank der Flur in
Finsternis. „Das Gebäude hier ist so gebaut, daß es sich jeder rein
systematischen Suche wi dersetzt. Wir müssen unsere Köpfe
benutzen."
„Da hast du recht", stimmte Celluci ihr
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