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Huff, Tanya

Huff, Tanya

Titel: Huff, Tanya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blood Ties 04 - Blutpakt
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zurückzukehren. Wäre er
nicht vorangegangen, dann hätte sie es wohl nicht geschafft. Sie drück te
ihren Arm gegen die Wärme seines Körpers und blickte hinunter in das
Gesicht von Donald Li.
    Dunkle
Augen fingen ihren Blick auf und hielten ihn. Vicki fühlte sich völlig erschöpft und
machte noch nicht einmal den Versuch, ihren Blick abzuwenden. Und da erkannte sie, daß ihr Grauen, ihre Abscheu, wie groß
sie auch sein mochten, gar nichts gegen das Grauen waren, das ihr aus
den Augen von Donald Li entgegenschrie.
    Im Vergleich zu
ihm hatte sie nichts, vor dem sie sich fürchten müßte.
    Und wo die Furcht erlosch, wuchs statt
dessen Zorn.
    Was für ein Mensch tut das hier einem
anderen Menschen an?
    Da weiteten sich die Augen des toten Mannes,
und einen Augenblick lang lag auf seinem Gesicht ein Ausdruck unendlicher Freude.
    Dann war da gar
kein Ausdruck mehr.
    Vicki, die gar nicht recht gemerkt
hatte, wie sie den Atem angehalten hatte,
atmete nun hörbar aus. „Hast du das gesehen?" „Ja."
    „Noch
irgendwelche Zweifel, daß wir das Richtige getan haben?" „Nicht einen." Gemeinsam schlossen die beiden sanft den Deckel.
    Henry lag allein in der Finsternis und
fragte sich, wieviel Nacht ihm wohl noch verblieben sein mochte. Seit
Sonnenuntergang hatte er doch bestimmt
schon ein Dutzend Stunden oder mehr erdulden müssen. War um kann ich die Morgendämmerung nicht spüren? In seinem Innern versuch te der Hunger sich
freizukrallen, von außen umhüllte ihn Stahl wie ein kaltes Leichentuch - so sehnte sich Henry nach der Ohnmacht des Ta ges, auch wenn er sie gleichzeitig fürchtete.
    Er hatte sich noch einmal alle Augenblicke
ins Gedächtnis gerufen, die er mit Vicki verbracht hatte. Es ist
unfair, daß ein Jahr in der Erinnerung so rasch vergeht. Ein
paar ihrer gemeinsamen Erlebnisse hatten den Hunger noch verstärkt, aber
die meisten hatten geholfen, ihn in Schach zu hal ten. Vicki hatte ihm ihr Leben geschenkt, nicht nur ihren Körper und
ihr Blut. Hatte es fertiggebracht,
aus einer zufälligen Begegnung eine Freund schaft zu formen. Hatte ihm
beigestanden, als er Hilfe gebraucht hatte. War
zu ihm gekommen, als sie Hilfe brauchte. Hatte ihm Vertrauen ent gegengebracht. Und im Gegenzug sein Vertrauen
gewonnen.
    Leidenschaft. Freundschaft. Sehnsucht.
Vertrauen.
    Alles zusammen, Liebe. In diesem Licht
betrachtet, dachte Henry, war es vielleicht gar
nicht wirklich notwendig, daß Vicki die Worte aussprach, daß sie ihm
sagte, sie liebe ihn. Auch wenn es schön gewesen wäre, es zu hören ...
    Dann versuchte er, sich daran zu erinnern, wie oft er
diese Worte aus gesprochen gehört hatte; an die hundert Stimmen versuchten, sich
Ge hör zu verschaffen. Frauenstimmen und
Männerstimmen - Henry brach te sie
alle zum Schweigen und durchsuchte seine Vergangenheit nach dem Schimmern von Gold unter all dem wertlosen
Tand. Tausend Näch te glitten an ihm
vorbei, hunderttausend, und aus all der gemeinsam empfundenen Leidenschaft, der Freundschaft, der
Sehnsucht, tauchten

nur vier Namen auf, drei Frauen
und ein Mann, bei denen es auch genug Vertrauen
gegeben hatte, um von Liebe reden zu können.
    „Ginevra. Gustav. Sidonie. Beth." Im Dunkeln murmelte Henry
ihre Namen. So viele andere, die ihm
entglitten waren, die er vergessen hat te, aber an diesen hielt er fest.
„Nur vier in all diesen Jahren ..."
    Zwei waren ihm durch Gewalt entrissen worden, eine durch
einen Un fall, eine durch die Zeit.
    Er konnte spüren, wie die Melancholie eine fast
körperliche Präsenz gewann und drohte, ihn unter sich zu begraben.
    „Vicki." Ein fünfter Name. Ein lebender Name. „Und
wie man so schön sagt...",
auch wenn er wußte, daß ihm das nichts nützen würde, preßte
Henry seine unversehrte Hand so kräftig
gegen den Deckel, wie Erschöp fung und
Schmerz es zuließen, wo Leben ist,
da ist auch Hoffnung."
    Muskeln spannten sich, bis sich ein roter Schleier über
seine Augen legte, dann sank der Arm auf seine Brust herab.
Der Lärm seines gegen die Rippen hämmernden Herzens ließ Henry fast taub werden. Er
hätte nicht sagen können, was er mit dieser
Handlung hatte beweisen wollen.
    Eine letzte Anstrengung, um der Liebe
willen? Vorsichtig drehte Henry sich
ein wenig zur Seite und versuchte, so gut es ging, seinen Körper in eine
andere Stellung zu bringen. Das Plastikpolster, auf dem er lag, kleb te
an seiner nackten Haut. Zumindest bin ich diesmal nicht derjenige, der zurückbleibt
und trauern muß.
    Aus der Melancholie wurde

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