Huff, Tanya
aus dem Bad
lauthals das Echo eines Wassertropfens herüberschallte, der im Por zellanbecken gelandet war. Auf der Straße fuhr
von Zeit zu Zeit ein Auto vorbei, und irgend etwas bewegte sich auf dem
Kies des Parkplatzes.
Nach einer Weile glitten die anderen Geräusche wieder in
den Hinter grund, aber die Schritte, die über die losen Steine
schlurften, dauerten an. Vicki runzelte die Stirn und begrüßte die Ablenkung dankbar.
Vielleicht war das ja Celluci, der von der Fischbraterei
auf der anderen Straßenseite zurückkam und dessen Schritte
so zögerlich klangen, weil ... nun, weil sowohl er als auch Henry
sich, seit sie angekommen waren, in ihrer Gegenwart zögernd
und vorsichtig verhalten hatten. Vicki wußte die Hilfe der
beiden durchaus zu schätzen, ja, wirklich, aber sie wünschte trotzdem, beide
würden endlich die Tatsache in ihre jeweiligen Dickschä del
kriegen, daß sie in der Lage war, für sich selbst zu sorgen!
Irgend etwas
streifte das Wohnzimmerfenster.
Vicki richtete sich auf. Die großen,
ebenerdigen Fenster der Souterrain wohnung hatten den Kindern aus der
Nachbarschaft immer ein verlock endes Ziel
geboten und waren im Laufe der Jahre mit Seife, Lackfarbe, Eiern,
Lippenstift und einmal sogar mit Schlumpf-Aufklebern verziert worden. Vicki erhob sich und schaltete die
Stehlampe mit ihren drei 100-Watt-Glühbirnen ein. Vielleicht, mit etwas Glück,
drang genug Licht aus dem
hellerleuchteten Wohnzimmer in die Nacht und sie konnte einen Blick auf die kleinen Vandalen werfen, ehe sie
die Flucht ergriffen.
Vicki stand nun am Fenster, in der einen
Hand den Saum der Gardine, in der anderen die Schnur der Jalousie hinter der Gardine.
Jetzt, aus der Nähe, konnte sie deutlich hören, daß sich wirklich irgend etwas
an der anderen Seite der Scheibe rieb. Mit einer einzigen, glatten, lange geüb ten Bewegung schob sie den Vorhang beiseite und
zog die Jalousie bis zum Anschlag hoch.
Da stand ihre Mutter, die
gespreizten Finger gegen die Scheibe gepreßt, und
ihr Mund bewegte sich lautlos. Zwei Augenpaare, beide grau, ein völlig identisches Grau, weiteten sich
gleichzeitig voller Erkennen.
Dann rutschte die Welt einen Augenblick
lang aus der Bahn.
Meine Mutter ist tot. Eine Erinnerung lag in
Scherben und wollte wieder ganz werden. Verzweifelt klammerte sie sich an
Einzelteile. Das ist meine ...
Das ist meine
...
Sie konnte es
nicht finden, konnte es nicht festhalten!
Die langen Beine eines Teenagers auf der Aschenbahn, ein
Zielband, eine Medaille. Eine hochgewachsene junge Frau, stolz und aufrecht, in blauer Uniform. Ein winziger rosaroter Mund öffnete sich
zu einem Gähnen, ganz gewiß das erste und schönste der Schöpfung. Ein
plötzlich sehr ernstes Kind, kleine Arme, die sich nach ihr ausstreckten, die sie
um schlungen hielten, als sie weinte. Eine
Stimme, die sagte: „Mach dir kei ne
Sorgen, Mutter."
Mutter.
Das ist meine
Tochter. Mein Kind.
Sie wußte nun, was sie tun mußte. Das Fenster war leer. Niemand bewegte sich auf
dem Parkplatz, zumin dest nicht in
dem Lichtfleck und nicht, soweit Vicki das mit ihrem Seh vermögen beurteilen konnte.
Meine Mutter ist
tot.
Auf dem Kiesweg, der zum Hauseingang führte, für Vicki
nicht einseh bar, da die Hausecke die Sicht versperrte,
erklangen jetzt wieder die zö gerlichen Schritte.
Vicki machte auf dem Absatz kehrt und
rannte zur Wohnungstür.
Sie hatte hinter Celluci abgeschlossen, eine Gewohnheit,
die ihr in all den in einer größeren, gewalttätigeren Stadt
verbrachten Jahren fest in
Fleisch und Blut übergegangen
war. Nun klemmte das Schloß,/sträubte sich der Mechanismus gegen zitternde Finger.
„VERDAMMTES
ELENDES SCHEISSTEIL!"
Sie hörte die
Schritte nicht mehr. Nur das Blut, das in ihren Ohren rauschte.
Jetzt ist sie auf der Treppe ...
da, wo sich das Metall in ihre Handfläche bohrte, würden bald blaue
Flecken sein ... öffnet die Außentür ... war die Sicherheitstür
verschlossen gewesen, als Mike ging? Vicki konnte sich nicht
erinnern. Wenn sie die nicht aufkriegt, geht sie wieder. Die ganze Tür erzitterte,
als die junge Frau das Schloß mit den Fäusten traktierte. Geh nicht
weg! Ihre Finger, deren Knöchel vor Anstrengung weiß geworden waren,
spürten, wie etwas nachgab.
Nicht wieder gehen ...
Im Korridor war
niemand.
Die Sicherheitstür stand offen.
Durch den Schrei hindurch, dessen Echo in ihrem Kopf von
einer Sei te zur anderen hallte, obwohl kein einziger Laut ihre
dicht zusammenge preßten Zähne
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