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Huff, Tanya

Huff, Tanya

Titel: Huff, Tanya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blood Ties 03 - Blutlinien
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Herz schlug so laut, daß das Echo von den Wänden des Schlafzimmers widerhallte.
Wieder war er mit der Erinnerung an eine strahlende, weißgoldene Sonne an einem
azurblauen Himmel erwacht.
    „Ich will
nicht sterben!"
    Aber warum dann die Sonne?
    Eine Nacht konnte er sich zu vergessen zwingen, konnte sie mit der Jagd, mit Blut abwaschen. Zwei Nächte hintereinander jedoch - da durch wurde
die Erinnerung real.
    Er befreite sich aus dem Laken und hockte am Rande des Bettes, die
Hände auf die Oberschenkel gestützt. Seine Handflächen waren feucht. Er starrte sie einen Augenblick lang an, rieb sie dann pantsch trocken und
versuchte sich zu erinnern, ob er in all den über vier hundertfünfzig Jahren je geschwitzt hatte.
    Das Zimmer
stank nach seiner Furcht. Er mußte hier raus.
    Nackt schlurfte er durch die Wohnung hinüber zum großen Panoramafenster,
das ihm einen Blick auf Toronto bot. Er preßte seine Hände und die Stirn gegen das kühle Glas, zwang sich dazu, langsam und ruhig zu
atmen, bis er sich wieder entspannter fühlte. Er ver folgte den Verkehr unten auf der Jarvis Street, nahm die strahlenden Lichter ein paar Blocks weiter zur Kenntnis, die
zeigten, wo die Yonge Street begann,
ließ seinen Blick über die goldenen Bänder in den Bürohochhäusern
gleiten, die anzeigten, wo pflichtbewußte Angestellte
spät noch arbeiteten und wußte, daß sich, sobald aus der Dämmerung volle Dunkelheit geworden war, die
anderen immer noch menschlichen Kinder der Nacht zeigen würden. Dies war seine Stadt.
    Dann ertappte er sich plötzlich bei der Überlegung, wie sie wohl aussehen mochte, wenn sich das Gelb und Rot der Morgenröte in den Glastürmen spiegelte, wenn die ineinander verschlungenen Asphaltbänder
grau und nicht schwarz aussahen, die herbstlichen Blätter der Bäume wie Juwelen über die Stadt verteilt blinkten, unter
der gewölbten Kuppel eines strahlend blauen Himmels... und er fragte sich, wie lange er wohl würde überleben
können, wieviel er würde sehen
können, ehe die goldene Scheibe der Sonne sein Fleisch entzündete und er
zum zweiten und diesmal letzten Mal stürbe.
    „Jesus, Herr im Himmel, beschütze mich!"
    Er riß sich vom Fenster los und zeichnete mit zitternden Fingern das Zeichen des Kreuzes.
    „Ich will
nicht sterben." Aber er bekam das Bild der Sonne nicht aus dem Kopf. Er griff nach dem Telefon.
    „Nelson."
    „Vicki, ich ..." Ich was? Ich habe Halluzinationen? Ich verliere
den Verstand?
    „Henry? Ist alles in Ordnung?"
    Ich muß mit
dir reden. Aber plötzlich konnte er es nicht sagen.
    Anscheinend hatte sie es trotzdem gehört. „Ich bin auf dem Weg." Ihre Stimme
ließ keinen Widerspruch zu. „Bist du zu Hause?"
    „Ja."
    „Dann bleib da. Ich nehme ein Taxi. Was es auch sein mag, wir f inden eine Lösung."
    Ihre Selbstsicherheit brachte ihn dazu, den krampfhaften Griff, mit dem er den Telefonhörer umklammert hielt, ein wenig zu lockern, und sein Mund verzog sich zur Parodie eines Lachens. „Keine Eile", sagte er und versuchte, sich wieder etwas in den Griff zu
bekommen. „Bis zum Morgengrauen haben wir Zeit."
    Teilweise
hielten Schuldgefühle Dr. Rax am Schreibtisch, wo er sich noch lange nachdem Dr. Shane gegangen war dem verhaßten Papierkram
widmete - die Stapel hatten ja auch wirklich ungeheure Dimensionen angenommen -, mehr noch aber bleib er aus dem vagen Gefühl heraus, daß etwas unerledigt
geblieben war, in der unbestimmten Erwartung eines Ereignisses. Er krakelte
seine Initialen unter einen
Budgetbericht, schlug den Ordner zu und warf ihn in den Ausgangskorb. Dann seufzte er und fing an,
planlos auf seinem Tischkalender
herumzukritzeln. Wenn es nur nicht so verdammt schwierig wäre, sich zu
konzentrieren ...
    Plötzlich fiel ihm auf, daß sein Gekritzel gar nicht so planlos war. In die Spalte für den heutigen Tag - Montag, 19.10. - hatte er ein einem
Vorstehhund ähnliches Tier mit dem Leib einer Antilope und dem Kopf eines Vogels gezeichnet, mit drei
Flügelpaaren und von drei
Uräusschlangen gekrönt. Er hatte das Wesen gezeichnet, das seine Träume beobachtete.
    „Du kommst mir, wenn ich es recht bedenke, bekannt vor!" Rax schob seinen
Schreibtischstuhl an das Bücherregal, das hinter dem Schreibtisch stand. „Ja
... hier ist es ja auch schon ..." Seine eigene Zeichnung ähnelte der
Abbildung im Buch fast auf den Strich ge nau.
„Erstaunlich, woran sich das Unterbewußtsein so erinnert!" Er bemühte sich, das kalte, bedrohliche Gefühl zu ignorieren, das

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