Huff, Tanya
machten die Gummisohlen ihrer Schuhe kaum ein Geräusch.
Dr. Shane sorgte sich um Elias. Er war immer schon ein ehrgeiziger; spannungsgeladener Mann gewesen, fest entschlos sen,
die ägyptologische Abteilung am Royal Ontario Museum allen Budgets und
Bürokraten zum Trotz zu einer der besten der Welt zu machen, aber in all den Jahren, in denen sie ihn kannte - und das waren schon einige, wie sie sich schweigend
eingestehen mußte -, hatte sie ihn noch nie so besessen erlebt.
Vor der Sicherheitstür hielt sie kurz inne, um ihren Trenchcoat fester um sich zu ziehen. Die Sicht aus dem Eingangsbereich für An gestellte war durch den hoch aufragenden Komplex des Planetariums
behindert, aber der Gehsteig zwischen den Gebäuden glitzerte feucht. Entweder regnete es noch oder es hatte bis vor kurzem geregnet.
Vor kurzem ... sie dachte an die Ereignisse in der Werkstatt, an die fast
traumartige Atmosphäre, in der sie den die Mumie umgebenden Leinenstreifen
entfernt hatten. Nichts war dokumentiert worden. Es
gab keine Fotos. Nicht einmal eine Beschreibung der Hieroglyphen. Alles
sehr, sehr merk...
Ein
plötzlicher Schmerz riß ihren Kopf nach vorn, und hinter ih ren Augen explodierten rote Lichter. Sie sank an
der Sicherheitstür zu Boden, und die
feuchte Haut ihrer Wange glitt an der glatten Glasoberfläche der Tür hinab, während sie verzweifelt versuchte, sich
auf den Füßen zu halten. Ist das ein Schlaganfall? Mit diesem Gedanken kam eine fürchterliche Vision völliger,
äußerster Hilflosigkeit - soviel schlimmer als der Tod. Lieber Gott, ich bin
viel zu jung! Sie konnte nicht mehr
atmen, erinnerte sich nicht, wie ihre Lungen funktionierten, erinnerte sich an nichts als an den Schmerz.
Wie aus
weiter Entfernung sah sie den Wachmann von der ande ren Seite her auf die Tür zurennen, und es gelang ihm, sie zu öffnen, ohne
Dr. Shane zu Boden zu werfen. Er legte ihr einen Arm um die Taille und trug sie zu einem nahestehenden Stuhl.
„Dr. Shane?
Dr. Shane, stimmt etwas nicht?"
Sie hörte ihren Namen und klammerte sich verzweifelt daran. Die
Schmerzen begannen zu verschwimmen, und sie fühlte sich, als sei sie innerlich mit einer Drahtbürste bearbeitet worden. Ihre Nervenenden
pulsierten schmerzhaft, und einen kurzen Augenblick lang blendete eine riesige goldene Sonne den Sicherheitsbereich, den Wachmann,
einfach alles aus.
„Dr. Shane?"
Dann war die Sonne fort und auch der Schmerz, als hätte es ihn nie gegeben.
Sie rieb sich die Schläfen und versuchte, sich zu erin nern, wie er sich angefühlt hatte, konnte es aber nicht.
„Soll ich
einen Krankenwagen rufen, Dr. Shane?"
Krankenwagen? Diese Frage drang zu ihr durch. „Nein, vielen Dank, Andrew.
Mir geht es gut. Wirklich. Ich fühle mich nur ein wenig schwach."
Andrew
runzelte die Stirn. „Sicher?"
„Ganz sicher." Sie holte tief Luft und stand auf. Die Welt war wie der, wie sie
immer gewesen war. Ihre Schultern entspannten sich.
„Wenn Sie wirklich sicher sind ..." Der Wachmann schien immer noch nicht
überzeugt. „Wahrscheinlich haben Sie zuviel gearbeitet, weil die Polizei Sie erst heute nachmittag wieder an Ihre Sachen
gelassen hat." Er trat an seinen Tisch zurück, beobachtete sie aber weiter vorsichtig. „Werden Sie die Mumie jetzt wegschaffen lassen?"
„Die Mumie?"
„Ja. Man sagt, Reid Ellis sei auf eine Mumie gestoßen da oben im Finstern, und die hat ihn zu Tode erschreckt."
„Ach, die Mumie ..." Es war schon erstaunlich, wie Gerüchte
entstanden. Sie lächelte und schüttelte den Kopf. Angesichts der Tatsache, daß die Polizei im Werkraum ein- und ausging, hatte es wenig Zweck, daß die Abteilung den Mund hielt, um ihr Gesicht zu wahren. Es würde ihnen nichts anderes übrigbleiben, als die wis senschaftliche Gemeinschaft davon zu überzeugen, daß sie immer vorgehabt hatten, einen leeren Sarkophag zu kaufen. „Eine Mumie gab es nie. Nur einen Sarg. Dessen Anblick, nehme ich an, ist mitten in der Nacht schlimm genug."
Andrew wirkte etwas enttäuscht. „Keine Mumie?"
„Keine Mumie."
Andrew seufzte. „Na, das macht die Geschichte auf jeden Fall weniger interessant."
„Tut mir leid." Dr. Shane blieb stehen, eine Hand an die Außentür
gedrückt, und warf dem Wachmann einen fast drohenden Blick über die Schulter zu. „Und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die wahre Geschichte verbreiten könnten."
Er seufzte
erneut. „Aber gewiß doch, Dr. Shane. Eine Mumie gab es nie."
Seine Finger hatten das untere Laken zerfetzt, und sein
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