Huff, Tanya
weiterzumachen. „Wir sollten uns besser die Büros vornehmen. Der Raum hier hat uns alles mitgeteilt,
was er wußte."
Henry stand
am Bürofenster und sah auf den nächtlichen Verkehr hinab. Er hätte wissen müssen, daß Vicki ihn nicht auf solche Art benutzt hätte - seine Fähigkeiten ja, aber nicht
seine Ängste. Seit er jeden Abend mit dem Bild der Sonne im Kopf erwachte,
stand er ständig unter Spannung, und
nun schien es, als habe die Erinne rung
an sein eigenes Begrabensein irgend etwas in ihm zum Reißen gebracht. Er
fragte sich, ob wohl noch mehr Fingerzeige auftauchen würden. In vierhundertfünfzig Jahren Existenz kommt so einiges zusammen, an das man erinnert werden kann.
Vielleicht stand die Sonne ja wirklich als Symbol dafür, daß seine Zeit
abgelaufen war und war eine Einladung, sein Leben auf saubere Art zu beenden, nicht durch einen langsamen, graduellen Verlust seines Ichs. Vor die Wahl gestellt, würde er sich immer für das Feuer entscheiden.
„Au! Mist,
verdammter!"
Er unterdrückte ein Lächeln: Vicki war in Dr. Rax' Büro gegen eine Schreibtischkante
gerannt. Henry schob jeglichen Gedanken an den Tod für den Augenblick beiseite
und widmete sich der Betrachtung seiner aktuellen Unlebensumstände. Er trat vom
Fenster zurück und fragte Vicki, die gerade
die Schreibtischlampe eingeschaltet hatte: „Meinst du wirklich, daß das
nicht zu gefährlich ist?"
„]a natürlich", erwiderte
Vicki, rieb sich die in Mitleidenschaft gezogene
Stelle am Oberschenkel und blinzelte wie eine Eule. „Wer das
Schreibtischlicht sieht, wird denken, daß hier jemand noch spät Nachts arbeitet - der Lichtstrahl einer
Taschenlampe dagegen", und sie knipste ihre aus, um sie in den
unergründlichen Tiefen ihrer Handtasche zu
versenken, „läßt jeden gleich an Einbruch denken."
„So etwas bringen sie einem auf der Polizeifachschule bei?"
„Wohl kaum. Damals, als ich noch Uniform trug, erbarmte sich ein Gewohnheitsverbrecher
namens Wiesel meiner und half mir, einige Wissenslücken
zu schließen."
„War das nicht gegen seine eigenen Interessen?" fragte Henry und trat an den Schreibtisch. „Bullen in seine Geheimnisse einzuweih en?"
„Ach, Wiesel war kein schlechter Typ. Er hatte nur eine etwas lockere Auffassung von Eigentum." Vicki setzte sich und überflog
die Dinge auf dem Schreibtisch. „Mal sehen, was wir hier haben
..."
„Wonach suchst du?"
„Das kann ich dir sagen, wenn ... aber hallo!" In einem großen Buch, das
halb auf, halb neben der Schreibtischunterlage lag, waren einige Seiten eingeknickt, als habe jemand das
Buch fallenlassen und dann hastig
wieder zugeschlagen, ohne auf den Zustand der Seiten zu achten. „Göttinnen und Götter des alten Ägypten,
3. Auflage." Sie öffnete das
Buch an der Stelle, an der die Seiten geknickt waren, hielt es unter den Strahl der Lampe und runzelte
angesichts der unaussprechlichen Namen die Stirn. „Ich frage mich, ob Rax
in der Nacht, in der er starb, hier etwas
nachgeschlagen hat."
„Kannst du eine Abbildung entdecken, die aussieht wie das hier?"
Henry reichte Vicki den Tischkalender, dessen oberstes Blatt immer noch auf Montag, den 19.10. verwies. Den 20.10. hatte Dr. Rax nicht mehr erlebt.
Vicki kniff die Augen zusammen und starrte auf die Zeichnung, die sich direkt unter dem Datum befand, das Bild eines merkwürdigen Wesens
mit Hirschleib und Vogelkopf. Dann wandte sie sich dem Buch zu.
„Hier! Er hat es ziemlich genau getroffen, wenn er es aus dem Gedächtnis gezeichnet hat. Akhekh? Der Typ braucht dringend mehr Vokale in seinem Namen ..." Sie massierte sich den Nacken
und blickte plötzlich hilfesuchend zu Henry auf. Der stand aber natürlich
außerhalb ihres stark eingeschränkten Sichtradius', und so riß sie sich
zusammen, schalt sich leise eine Närrin und beugte sich vor, um den Absatz im Buch zu Ende zu lesen. „Akhekh, ein prädynastischer
Gott des oberen Ägypten, der in die Religion der Eroberer integriert wurde, in der er als eine Gestalt des
Gottes des Bösen, Se... verdammt!" Sie schlug das Buch zu und
starrte keuchend, mit weit aufgerissenen
Augen auf etwas, das Henry nicht sehen konnte.
„Vicki?"
Er packte sie bei den Schultern und schüttelte sie kräftig genug, um das ausdruckslose Starren von ihrem
Gesicht zu wischen. „Was ist
passiert?"
Sie blinzelte, runzelte die Stirn und probierte, ob sie den Kopf noch bewegen konnte. „Fühlt sich an wie ein Schleudertrauma."
„Vicki!"
Erneut schüttelte er sie, nicht so
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