Huff, Tanya
sie
beschlich, mit einem Achselzucken abzuschütteln, aber sie fing an zu begreifen, warum Celluci bereit war, an die
Existenz der Mumie zu glauben. „Ich
bin mir ganz sicher."
Henry schob die Hände in die Seitentaschen seines Mantels und ging zu dem Sarg hinüber. Durch die dunklen Gläser seiner Sonnen brille betrachtet wirkte er leicht unwirklich; die ihn bedeckenden Schlangen
schienen mit Blut gemalt. Sehr verdächtig - aber er hatte keine Ahnung, wonach er Ausschau halten sollte.
Seine Nase sog den immer noch überwältigenden Geruch von Zedernharz ein,
dann runzelte er die Stirn und beugte sich
tiefer über die Sargöffhung. Sehr vage, sehr fein und nur von
seinesgleichen wahrnehmbar konnte er den
Geruch eines Lebens ausmachen.
Mit
geschlossenen Augen nahm er die Spuren in sich auf, die die Jahrhunderte hinterlassen hatten. Nicht nur
Fleisch und Blut, auch panische
Angst und Schmerz und Verzweiflung ...
Über ihm kein Stein, sondern rauhes Holz, das ihn so eng umfing, daß seine Brust im Auf und Ab des Atmens gegen die Bretter streifte. Um
ihn der Geruch von Erde. Er schrie, bis seine Kehle rauh war und drehte und
wand sich verzweifelt in dem winzigen Rest Bewegungs raum, der ihm
geblieben war ...
Henry schlug abrupt die Augen wieder auf und sprang zurück, weg von dem Sarg, fort von der Erinnerung an sein eigenes Begräbnis. Mit zitternden Fingern schlug er ein Kreuz. Dann wandte er sich um, und sein Blick
fiel auf Vicki, deren Gesichtsausdruck ihm eindeutig zu verstehen gab, daß seine Reaktion beobachtet worden war.
„Nun?"
„Irgend etwas
war darin sehr lange eingesperrt."
„Etwas menschliches?"
Henry zuckte die Schultern. Das Erlebnis hatte ihn stärker mit genommen, als
er zugeben mochte. „Es war menschlich, als sie den
Sargdeckel
schlossen. Wenn es all die langen Jahre bei Bewußtsein war, dann weiß Gott
allein, was es jetzt ist."
Vicki nickte, und Henry begriff, daß seine Reaktion nicht nur beobachtet worden war. Vicki hatte sie erwartet. „Also deswegen wolltest du mich hierhaben." In der Nacht, in der er ihr von seiner
Erschaffung erzählt hatte, hatte er ihr auch von seiner Beerdigung berichtet.
Sie nickte
erneut, war sich seines wachsenden Unmuts allerdings gar nicht bewußt. „Du
erzählst mir ständig, deine Sinne seien soviel schärfer als meine. Da habe ich gedacht, wenn etwas oder jemand hier
dreitausend Jahre lang drin war, dann könntest du das feststel len."
„Du hast mich benutzt."
In Henrys Stimme lag soviel Zorn, daß Vicki vor Schreck der Mund offen
stehenblieb und sie unwillkürlich einen Schritt zurückt rat. „Was redest du da?" Sie zwang sich, die Worte zu sagen, auch wenn
Angst ihr die Kehle zuschnürte. „Ich dachte nur, du wärest in der Lage zu
spüren ..." Dann fiel es ihr wieder ein.
„Weißt du, es gibt einen ziemlich guten Grund dafür, daß die mei sten Vampire
aus dem Adel stammen: Man kommt aus einer Gruft einfach leichter wieder heraus. Mich hatten sie gut und tief begra ben, so daß Christina drei Tage brauchte, um mich
zu finden und wieder
freizuschaufeln"
Vicki fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und hielt wacker
die Stellung, als Henry sich ihr näherte, auch wenn all ihre Instinkte zur Flucht rieten. „Henry, ich habe einfach nicht daran gedacht, daß du mal begraben warst. Ich wollte keine emotionale Reaktion, nur eine körperliche! Mein Gott, Henry!" Sie hob die Hände und stemmte sie gegen seine Brust, denn jetzt wurde auch sie zornig. „So etwas würde ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind zumuten! Einem Freund schon gar nicht."
Die Worte drangen durch den Nebel, und Henry stellte fest, daß er ihnen Glauben schenken mußte. Er zitterte immer noch am ganzen Leib, entsetzt darüber, wie kurz er davor gewesen war, dem Tier freien Lauf zu lassen. „Vicki! Es tut mir leid."
„Ist schon gut." Seine Brust
fühlte sich weich und kühl an. Er sah aus, als
sei er über seine Reaktion ebenso erschrocken wie sie. „Irgend etwas
bringt jeden von uns zum Ausrasten."
„Was ist das bei dir?" fragte er und streifte sich mit
Entschiedenheit die Maske der Zivilisation und Selbstkontrolle wieder über.
„Wir haben jetzt keine Zeit uns damit näher zu befassen", schnaub te Vicki. „In etwa zwölf Stunden kommen hier wieder Leute her." Sie
nickte in Richtung der Tür und erinnerte sich daran, daß Henry in letzter Zeit unter großem Druck gestanden hatte. Sie war daher bereit, den Zwischenfall zu vergessen und
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