Humphrey, ich und Kokolores (German Edition)
wieder ein. »Ich rufe sie am besten gleich an.«
Ich fischte mein Handy aus der Innentasche meiner Jacke und wählte Neles Nummer.
»Darf man hier überhaupt sein Handy benutzen?«, flüsterte ich meiner Mutter zu.
»Ja, natürlich. Das ist hier kein Gefängnis.«
Nach dem dritten Freizeichen hob Nele ab. Sie klang äußerst verschlafen. Sorgfältig darauf bedacht keine schlimmen Flüche oder Schimpfwörter zu verwenden, erzählte ich ihr die Kurzversion der Geschichte. Dabei ließ ich die Tatsache aus, dass meine Mutter ebenfalls in der Klapse war.
Nele klang ehrlich schockiert. Ich schaffte es sie etwas zu beruhigen, rang ihr das Versprechen ab, zur Schule zu gehen, und versprach so schnell wie möglich nach Hause zu kommen.
Dann hieß es warten, bis der Oberarzt auf mich zukam. Ich trank drei Tassen Kaffee, die mehr nach Wasser als nach Kaffeebohnen schmeckten, und spielte mit meiner Mutter und zwei weiteren Patienten ein Kartenspiel.
Um zwanzig vor zehn kam ein Pfleger auf mich zu und bat mich ins Arztzimmer.
Unauffällig versuchte ich, meine schwitzigen Hände an den Außenseiten meiner Jeanshosen abzuwischen.
Im Arztzimmer erwartete mich Herr Dr. Obstmann und ein älterer Arzt mit grauem Schnurrbart, der mir zwar die Hand zur Begrüßung reichte, sich aber nicht namentlich vorstellte.
»Guten Morgen, Frau Reuter«, begann er und sah mich durch seine runden Brillengläser so durchdringend an, als betrachtete er ein Röntgenbild.
»Ich stelle weder eine Gefahr für andere noch für mich dar und deswegen haben Sie keinen Grund mich gegen meinen Willen hier zu behalten.«
Der Oberarzt blickte zu Obstmann, der daraufhin etwas auf seinem Klemmbrett notierte.
»Herr Dr. Obstmann war etwas in Sorge, dass wir Sie vielleicht in einem labilen Zustand nach Hause schicken würden.«
»Ich bin nicht labil. Es war ein Missverständnis. Wenn nun schon die Unfähigkeit technische Geräte richtig zu bedienen, zu einer unfreiwilligen Einweisung in die Klaps- Psychiatrie führt, dann haben Sie in Zukunft vermutlich so viel zu tun, dass eine Menge Arbeitsplätze geschaffen werden.«
Dr. Obstmann blickte starr auf sein Klemmbrett. Der Oberarzt grinste affektiert.
»Nun, Sie müssen verstehen, dass-«
»Nein«, sagte ich brüsk. »Sie müssen verstehen, dass ich meine Anwältin einschalte, mich an die Presse wende und die Hölle los brechen wird, wenn ich wegen eines Tippfehlers gegen meinen Willen hier behalten werde.«
»Es geht hier doch nicht nur um einen Tippfehler, Frau Reuter.«
»Ach nein?«
»Sie wirkten auf die Beamten verwirrt und orientierungslos, dazu kamen psychotische Anzeichen und die konfusen Aussagen zur Drogeneinnahme.«
»Ich war weder verwirrt noch orientierungslos. Ich weiß zwar nicht, wie oft ich das noch erzählen soll, aber ich war lediglich müde und habe makabere Handzettel verteilt, weil Autokorrekt das Wort »hüte« in »töte« umgewandelt hat.«
Der Oberarzt hob eine Braue und wandte sich an Dr. Obstmann. »Welche Rolle spielen die Hüte?«
Bevor der Arzt auch nur den Mund öffnen konnte, platzte mir der Kragen. Frustriert sprang ich von meinem Stuhl auf.
»Wenn Sie mich hierbehalten wollen, geht das nur mit einem richterlichen Beschluss. Ich würde also gerne gehen. Denn ich glaube kaum, dass sie einen Richter davon überzeugen könnten, dass ich eine Gefahr für mich oder andere darstelle, weil ich dank Autokorrektur Flyer verteilt habe, beschriftet mit den Worten »Ich töte ihre Haustiere« statt »Ich hüte ihre Haustiere. Spätestens jetzt wird Ihnen auch die Doppeldeutigkeit des Wortes aufgefallen sein, sodass sie begreifen, dass es sich bei dem Wort "hüte" keinesfalls um eine Kopfbedeckung handelt!«
Die Augen des Oberarztes weiteten sich, während Dr. Obstmanns Blick auf dem Klemmbrett haftete.
Es war halb zwölf, als ich aus dem Klinikgebäude in die Freiheit trat, mit knurrendem Magen, aber mit einem kleinen Triumphgefühl.
Ich schlenderte zur Bushaltestelle. Die Psychiatrie befand sich gute 20 km von Wedel entfernt. Ich musste also mit dem Bus zum Bahnhof fahren und dort in die S-Bahn steigen. Dabei fragte ich mich, ob mein Auto inzwischen wohl abgeschleppt worden war. Bei meinem Glück hatte ich im Halteverbot oder auf einem Behindertenparkplatz geparkt.
Sorgsam las ich den Busfahrplan. Der nächste Bus sollte in 25 Minuten kommen. Ich wäre zu Fuß vermutlich schneller am Bahnhof gewesen, aber da ich den Weg nicht kannte, war das keine Option.
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