Hundejäger töten leise
ich zaubern kann.“
Er küßte sie auf den Hals, wo
das Blut unter der Haut pochte. „Aber du mußt versprechen, daß du deinen Zauber
nur bei mir anwendest.“
„Mache ich. Simsalabim!“ Sie
löste sich von ihm und nahm ihren Hut. „Ich muß jetzt rein, Tom. Gute Nacht!“
Zum Abschied küßte sie ihn auf
den Mund. Dann lief sie die Stufen zum Eingang hinauf.
Er sah ihr nach, ohne sich zu
rühren.
Sie winkte, bevor sie die Tür
hinter sich schloß.
Nein! dachte er. Es wäre
albern, wenn ich mich hier vor den Eingang lege und ihren Schlaf bewache. Aber wenn’s
nötig wäre, täte ich’s sofort. Und nicht nur das!
Er schob seinen ,Hirsch’ bis
zur Straßenecke. Die Ehrfurcht vor der weihevollen Stimmung gebot ihm, den
knatternden Motor erst dort anzuwerfen.
*
Er hieß Caruso, war also nach
dem berühmten Sänger benannt, obwohl er überhaupt nicht singen konnte und auch
keine italienischen Vorfahren hatte. Er war eine Promenadenmischung, in der
sich Spitz, Pudel, Spaniel — und vermutlich noch eine Rasse — eindrucksvoll
vereint hatten. Sein Frauchen war eine schrullige Alte namens Erna Pöckemeier.
Sie liebte Caruso — genauer
gesagt: beide Carusos, den längst verstorbenen Sänger und ihren Hund. Sie bezog
eine beachtliche Pension, war nämlich Studiendirektorin gewesen, aber nun schon
13 Jahre im Ruhestand.
Ihre Wohnung am Messe-Park sah
nur noch selten Besucher. Aber Erna Pöckemeier kam auch allein zurecht. Um ihre
Musikanlage hätte ein Hifi-Fan sie beneidet. Stundenlang hörte sie Musik — mit
Kopfhörer, versteht sich. Denn ihre Schwerhörigkeit nahm zu, was größere Lautstärke
erforderte. Diesen Kunstgenuß ohne Kopfhörer — da hätten die Nachbarn nicht
mitgemacht. Egal, ob es sich um Caruso handelte oder um die Rolling Stones.
Drei Spaziergänge täglich
hielten beide fit, Caruso und sein Frauchen. Und jetzt, gegen 21.40 Uhr an
diesem lauen Sommerabend, war es wieder soweit.
Caruso jagte die Treppe
hinunter und verharrte an der Haustür, wo Erna Pöckemeier ihn an die Leine
nahm. Sie traten ins Freie. Caruso schnupperte nach links und nach rechts, ob
etwa der bissige Terrier aus dem Neubau drüben wieder durch die Gegend
strawanzte (herumtreiben), was für den typisch war; denn der hatte,
obwohl reinrassig, überhaupt keine Lebensart.
Die Luft war rein. Sie
überquerten die Straße und betraten den Messe-Park.
An diesem Abend waren in der
Stadt 96 Prozent aller Fernsehapparate eingeschaltet. Ein wichtiges
Fußballspiel im Europapokal wurde übertragen. Das fegte die Straßen leer. Und
in den Parks waren Insekten, Nachtvögel, Igel und streunende Katzen unter sich.
Wo niemand ist, dachte Erna
Pöckemeier, da sind auch keine Räuber. Vor denen fürchtete sie sich. Gesehen
hatte sie noch keinen. Aber man las ja in der Zeitung, daß die Überfälle immer
dreister wurden.
Zwanzig Schritte parkeinwärts
ließ sie Caruso von der Leine.
Raketengleich schoß er davon.
Er war noch jung und dank der vielrassigen Blutauffrischung voller Kraft. Zwar
kannte er im Messe-Park jeden Weg und jeden Strauch aber andere Hunde pinkelten
jeden Tag aufs neue ihre Hoheitsbezirke ab — und das war immer wieder
interessant.
Erna Pöckemeier folgte ihm, so
rasch sie konnte. Der Park war groß, sein Wegenetz nur aus dem Flugzeug
überschaubar. Die Büsche standen dicht beieinander, Bäume gruppierten sich. An
Laternen hatte die zuständige Abteilung der Stadtverwaltung gespart. Und der Mond
mit seinem Sonnenbrand spendete heute wenig Licht.
Erna Pöckemeier verlor Caruso
aus den Augen.
Doch das beunruhigte sie nicht,
geschah es doch jeden Abend. Caruso tobte sich aus und kehrte dann, ohne daß
sie ihn pfiff — was sie nicht mehr konnte, seit sie die dritten Zähne hatte —
zu ihr zurück.
Von der finsteren Gestalt, die
unweit von ihr durch die Büsche pirschte, ahnte die alte Dame nichts.
Fred Lämmel, der ehemalige
Bankräuber und derzeitige Schläger und Hundejäger, trug einen rißfesten Sack
unterm Arm. Seit einer Stunde suchte er die einsamen Parks ab. Das Fußballspiel
interessierte ihn nicht. Außerdem sagte er sich, daß seine Chancen an so einem
Abend gut stünden. Denn schließlich — was ein Hund ist, der muß raus und sein
Geschäft machen, gleichgültig ob auf der Mattscheibe gekickt wird oder die
zehnte Wiederholung eines alten Spielfilms vorbeiflimmert.
Jetzt schien seine Rechnung
aufzugehen.
Er hatte Erna Pöckemeier und
Caruso beobachtet. Keuchend rannte er, links
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