Hundeleben
besucht. Wahrscheinlich wegen des Geldes. Mark konnte oder wollte die offene Rechnung nicht begleichen und wurde ermordet. Aber war er wirklich ermordet worden? Vielleicht war er schon länger des Daseins in dieser Stadt und auf diesem Planeten überdrüssig. Wieso nicht? Schließlich war Leben eine Aufgabe, der nicht jeder gewachsen war. Ich kannte mich da aus. Jedenfalls ein bisschen. Was aber hatte er seinen Besuchern gesagt? Hatte er ihnen von seiner Schwester Sylvia erzählt? War er ausgeschaltet worden, damit er sie nicht mehr warnen konnte? Hatte man ihn ausgeknipst, weil er nicht verraten wollte, wo sich der Koffer befand? Das waren Fragen, die für eine Doktorarbeit gereicht hätten. Für mich allerdings waren sie Teil meiner alltäglichen Routine.
Ich schaute mir den Schreibtisch an. Telefon, Lampe, ein paar Stifte, darunter ein blauer mit den aufgedruckten Buchstaben CDU.
Ich nahm mir den Anrufbeantworter vor. Zwei Anrufe. Beide von mir. Keine Sylvia, kein Freund, kein Bekannter, kein Callcenter , nichts. Eigenartig. Ich drückte auf Löschen.
Ich schaute mich weiter um. Irgendetwas stimmte nicht. Aber was?
Ich machte eine kleine Runde durch Marks Schränke und Schubfächer. Nichts Aufregendes, wenn man von der Kollektion an Dildos , Dessous und Billy Boys im Schlafzimmer absah. Einzig die DVD-Sammlung war bemerkenswert. 200 waren es, schätzungsweise. Vor allem Special Editions . Von wegen Kopien. Alle waren sie da. Scott, Rodriguez, Scorsese, Coppola, Tarantino. Ich steckte mir Hitchcocks › Vertigo ‹ ein, überlegte und packte noch Kubricks ›2001‹ obenauf. Der Winter stand vor der Tür und damit die Zeit der langen Abende. Zwei dieser Abende würde ich jetzt halbwegs unbeschadet überstehen.
Ich ging rüber zu Mark und sagte ›Danke‹. Ich schaute noch mal genauer hin. Nein, die 22er gefiel mir nicht, ganz und gar nicht. Ich nahm mein Taschentuch, entwand Mark die Pistole, pustete eine fette Made vom Lauf und steckte die Waffe ein.
Dann rief ich die Kripo an, anonym, und bat um Hilfe.
17
Ich überließ Mark seinem Schicksal und nahm die nächste Tram in die Innenstadt. Möglicherweise würde ich Ärger kriegen. Na und. Ärger war ich gewöhnt. Sogar großen Ärger. Ich setzte mich in ein Café. Ich brauchte einen Espresso, um wieder auf den gewohnten Spiegel zu kommen. Die Kellnerin war jung und frustriert. Auf dem T-Shirt stand ›Zicke‹. Als sie das dritte Mal vorbeiging, hielt ich sie fest.
»Nimm die Pfoten weg, alter Sack.« Das war deutlich.
»Sie sehen gut aus. Sehr gut sogar.« Ich machte auf cool.
»Hast ’n Schuss, Opa?«
»Bin auf Talentsuche. Modelbranche. Interessiert?«
»Modelbranche?« Sie starrte mich an. Ich nickte. Sie nickte mehrfach zurück. Heute Abend würde ihr der Hals wehtun.
»Espresso und Cognac, meine Süße.«
»Sie suchen Models?«
»Nein. Ich finde Models. Und jetzt ab.«
Der Espresso war noch heiß. So schnell war sie mit dem Bestellten zurück. Ich sagte »Danke« und ignorierte sie dann. Rache kann so schön sein. Ich griff mir die taz . Ich hatte keinen Bock auf lokale Presse, auf Tellerrandjournalismus à la PNZ oder MZ. Ich wollte etwas über die Welt erfahren, über andere Kulturen, über den Gang der Dinge jenseits der Stadtgrenzen. Hintergründe, Wissen, Bildung, das waren die Sachen, nach denen es mich verlangte. Jetzt.
›Zahl der Kloverstopfungen in England um zehn Prozent gestiegen‹, las ich. Das klang interessant. Ich stellte mir vor, wie die Leute frustriert in ihren dreckigen Klobecken herumstocherten, zu Telefonen griffen und Klempner bestellten. Laut Artikel allerdings waren sie selber schuld. Sie benutzten reißfestes Klopapier und feuchte Tücher mit Zerfallszeiten von bis zu fünf Tagen. Billigpapier zerfiel bereits nach drei Minuten, bei falscher Technik auch schon mal schneller, aber wer nahm schon noch Billigpapier. Die Zivilisation der Neuzeit war der Verstopfung geweiht. Oscar Wilde lachte. Ich lachte auch. Die Welt war bunt, interessant und heftig verrückt. Ich fand es schön, gerade jetzt dabei zu sein.
»Seit wann ist die taz lustig?«
Ich schaute auf. Anne Klein.
»Na ja. Manchmal. Setzen Sie sich doch.«
Sie setzte sich tatsächlich. Ein paar Kerle drehten ihre Köpfe in unsere Richtung.
»Haben Sie Pause?«
»Ja. 15 Minuten. Und Sie?«
»20 Minuten.«
Sie lachte. Das gefiel mir. Ich schob ihr den Artikel hin. Sie lachte noch mehr.
»Ein Fall für Oscar Wilde«, sagte sie.
»Genau. Ein Fall für
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