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Hundeleben

Titel: Hundeleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Zander
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Detektivdasein ziemlich bescheiden lief. Das konnte an der schwachen brandenburgischen Kriminalitätskonjunktur, an der Weltwirtschaftslage oder an mir liegen. Ich machte die Weltwirtschaft als Schuldigen aus. Warum nicht, andere machten es genauso.
    Ich lief die Brandenburger Straße in Richtung Ebert-Straße zurück. In Höhe von McDonalds spielte mein Handy ein Stück aus Peer Gynt. Etwa 20 kauende Schulkinder hielten plötzlich inne und starrten mich an. Ich starrte nicht zurück. Verlorene Liebesmüh. Die Namen Ibsen und Grieg sagten ihnen sowieso nichts.
    »Der hat ’n Jingle von Grieg«, hörte ich ein dünnes Stimmchen.
    »Peer Gynt«, kam die Antwort.
    Ich horchte auf. Möglicherweise waren Deutschlands Jugendliche doch nicht so schlecht wie ihre Essgewohnheiten vermuten ließen.
    Ich zog mein SGH-X aus der Hosentasche, pustete ein paar Krümel ab, drückte auf ›Gespräch annehmen‹ und hielt mir das Handy ans Ohr.
    »Ja. Wer da?«
    »Was weißt du über einen gewissen Mark Müller?«
    Es war Proll . Dem Ton seiner Stimme nach zu urteilen, war er nicht auf einen Plausch unter Berufskollegen aus.
    »Mark Müller. Lass mich überlegen. Ja, natürlich. Mark Müller. Ich bin auf der Suche nach ihm. Aber das weißt du doch, spätestens seit dem Aktenstudium.«
    Proll grunzte, sagte aber nichts.
    »Weißt du, wie es ihm geht?«, fragte ich, um überhaupt etwas zu fragen.
    »Es geht ihm hervorragend.« Prolls Stimme klang nicht fröhlich.
    »Freut mich. Freut mich wirklich.«
    »Es geht ihm so gut, dass er sich kaum halten kann vor Freude, wie gut es ihm geht.«
    Ich wusste, was er meinte, trotzdem sagte ich: »He, das ist ziemlich kryptisch.«
    »Nicht kryptischer als die Tatsache, dass ich zu Mark Müller gerufen werde, ankomme und bei der Zeugenbefragung erfahren muss, dass ich bereits da gewesen bin. Hast du eine Erklärung dafür?«
    »Habt ihr eine Zeitmaschine im Keller, gleich neben der Streckbank?«
    Am anderen Ende der Welt blieb es verdächtig ruhig. Hatte ich Proll verstimmt? Unwahrscheinlich. Proll war immer verstimmt. Wie eine Gitarre in der Hand eines Lagerfeuerfetischisten. In meinem Hinterkopf hörte ich Bobs liebliche Stimme. › Blowin ’ in the wind‹. Das war hart. Die Sache mit dem Funkloch fiel mir ein.
    »He, ich verstehe dich nicht. Ich glaube, ich bin in einem …«
    »Wehe, du legst auf.« Ich verstand ihn nur zu gut.
    »Warst du hier gewesen?«
    »Wo?«
    »In Mark Müllers Wohnung. Sie sieht verdammt aufgeräumt auf.«
    »Wo wohnt er denn?«
    »Beweg deinen verdammten miesen kleinen blöden Arsch hierher. Sofort!«
    Ich bewegte meinen Arsch zunächst ins Büro. Die 22er schob ich unter die Badewanne, Hitchcock und Kubrick verstaute ich im Regal, gleich hinter den Aktenordnern. Die meisten Ordner waren leer. Ich hatte sie in einem Anfall von Optimismus gekauft. Ihr Anblick erinnerte mich an die Tage der Anfangs- und Gründereuphorie, vor allem jedoch an die langen Jahre der Ernüchterung. Euphorie ist wie ein schwerer Wein. Zuviel davon und die Katerstimmung kommt so zwangsläufig wie eine Wirkung der entsprechenden Ursache folgt. Kausalität ist etwas, worauf man sich in dieser seltsam unsicheren Welt unbedingt verlassen kann. Leider. Meine Euphorie war groß gewesen, meine Katerstimmung war es noch.
    Ich tippte Sylvias Nummer ein und lauschte in die Welt hinaus. Ich ließ es klingeln bis der AB ansprang, dann legte ich auf. Welche Nachricht hätte ich ihr hinterlassen sollen. ›Hallo Schatz, dein Bruder ist tot. Sonst ist alles in Ordnung.‹ In solchen Situationen ist Schweigen das Beste. Es macht keinen Ärger und es kann nicht falsch gedeutet werden. Nichts zu sagen ist besser als zuviel zu sagen. Vor allem für den, der nichts sagt, oft auch für den, der etwas gesagt bekommt bzw. gesagt bekommen soll. Wenn beide Seiten etwas vom Schweigen haben, muss man schweigen. Soviel dazu.

19
    14.17 Uhr mitteleuropäischer Zeit stand ich wieder vor Marks Hauseingang. Na schön, Mark war nicht mehr von dieser Welt, aber vielleicht weilte ja sein Geist noch hier.
    Die Tür stand offen. Ich schaute nach dem Klingelknopf. Der saß noch immer fest. Ich zog ein Taschentuch hervor und wischte den Knopf ab.
    Ich schaute nach oben. Das Haus sah trostloser aus als am Morgen. Vielleicht war es in Trauer. Es verströmte den Charme einer Ruine, die um Abriss bettelt. Niemanden schien das zu kümmern. Die Wohnungsbaugesellschaft nicht und die Bewohner erst recht nicht. Mich kümmerte es auch nicht.

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