Hundert Facetten des Mr. Diamonds, Band 4: Glitzernd (German Edition)
mit Sorgenfalten überzogene Stirn seiner Mutter, klopft seinem Vater auf die Schulter, und das Ehepaar Diamonds zieht sich still zurück, ohne mich eines Blickes zu würdigen, als wäre ich gar nicht da. Es ist inzwischen Abend geworden, und die Dunkelheit verleiht dem Amerikanischen Krankenhaus Paris eine mysteriöse Atmosphäre und der Situation eine gewisse Tragik. Ich stehe alleine zwischen den beiden Brüdern, von denen der eine friedlich schlummert und der andere ziemlich wütend ist.
„Danke, dass du mich verteidigt hast. Das hättest du nicht tun müssen.“
„Ich versuche nur, sie von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, dass ihr Geld ihnen nicht das Recht gibt, mit anderen zu reden, wie sie wollen. Manchmal glauben sie, sie können sich alles erlauben. Aber sie haben beide ein gutes Herz. Man muss es nur suchen.“
„So was, das erinnert mich an jemanden …“
„Ja, ja, der Engel Gabriel und seine alten Dämonen. Vorher war er nicht so.“
„Wann vorher?“
„Bevor ihm das Leben übel mitgespielt hat. Auch ich würde alles dafür geben, meinen alten Bruder wiederzubekommen, ihm etwas von seinem Leiden und seiner Last abzunehmen. Er hat das alles nicht verdient. Ich weiß nicht, warum es das Schicksal immer auf die gleichen abgesehen hat. Das ist eine Schweinerei. Ich selbst habe in meinem Leben nicht viel Gutes getan, aber ich bin immer noch davongekommen. Ihm gelingt einfach alles, was auch immer er berührt, verwandelt sich in Gold, doch er zahlt einen hohen Preis dafür. So ist es schon immer. Mein Vater sagt, das ist der Preis des Erfolges – haha. Seit mehr als zehn Jahren hat ihn niemand mehr so richtig glücklich und zufrieden gesehen. Auch ich habe es nicht geschafft, ihm die Freude am Leben wieder zurückzugeben. Ich weiß nicht, wer das schaffen soll. Vielleicht du.“
Mit seinen tränennassen Augen scheint Silas mehr zu sich selbst zu sprechen als zu mir. Ich traue mich nicht, ihm weitere Fragen zu stellen. Er sieht seinen Bruder liebevoll an und dicke Tränen rollen über seine Wangen. Schließlich vergräbt er sein Gesicht wie ein Kind in seinem Arm. Diese Szene bewegt mich zutiefst.
Ich gehe langsam zu ihm hinüber, hebe seinen Kopf und trockne seine Tränen mit meinen Händen. In seinen geröteten Augen liegt eine unsagbare Traurigkeit.
„Wenn du meine Meinung hören willst, bist du ein Engel.“
„Da bist du aber die Einzige, die das denkt.“
„Warum flüstern wir?“
„Um den Dämon da drüben nicht aufzuwecken.“
In seine Tränen mischt sich ein ersticktes Lächeln und ich bemerke, dass ich noch immer sein Gesicht in meinen Händen halte. Dann folgt eine lange Stille. Silas beugt sich zu mir und blickt auf meinen Mund.
Er wird dich küssen, er wird dich küssen, tu irgendwas, ER WIRD DICH KÜSSEN!
Ich lasse ihn mir viel zu nahe kommen, bevor ich mich rasch abwende.
„Ich muss gehen, ich arbeite morgen.“
„Bitte, geh nicht.“
„RAUS!“
Durch Gabriels donnernde Stimme sind wir beide fast zu Tode erschrocken.
„Raus hier, Silas. Du bleibst.“
Silas folgt mit weit aufgerissenen Augen und verlegener Miene und lässt mich mit dem Drachen, den wir geweckt haben, alleine.
„Ihm zuzusehen, wie er sie gefickt hat, hat dir wohl nicht genügt. Du wolltest auch mal von ihm hergenommen werden, nicht wahr?“
„Gabriel! Du erkennst mich?“
„Ich dachte, ich kenne dich, Amandine.“
„Warum spielst du mit mir? Warum sagst du es erst jetzt?“
„Genug! Du stellst hier keine Fragen. Hättest du dich jetzt vor meinen Augen von meinem Bruder flachlegen lassen wollen? Nachdem du allen erzählt hast, wie viel dir an mir liegt?“
„Was soll das sein, eine Prüfung?“
„Antworte!“
„Nein, ich habe deinen Bruder getröstet, der dich mehr als alles andere liebt und der mich unterstützt, während du mich wie Dreck behandelst.“
„Was bist du denn schon anderes?“
„Ich bin die bemitleidenswerte Vollidiotin, die dich seit Tagen überall gesucht hat. Die in allen Krankenhäusern angerufen hat und befürchtet hat, dass du tot bist. Die hierherkommt und versucht, dem Diamonds-Clan standzuhalten. Die gegen die Elemente kämpft, um dich nicht schon wieder zu verlieren.“
Achtung, Vorsicht: Sag' nicht die drei Worte, die ihn verärgern. Sag' nicht „Ich liebe dich“, Amandine, sei stark!
„Die bemitleidenswerte Vollidiotin, die alles tut, was sie kann, um dich nicht zu lieben.“
Verdammt.
Gabriel packt mich grob am Handgelenk und zieht mich an
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