Hundert Namen: Roman (German Edition)
schon ziemlich beschwipst. »Ich schreibe zurzeit ein Buch«, antwortete Richie.
»Ein Buch? Wow, Richie, das ist ja phantastisch!«
»Komisches Gefühl, dass du mich Richie nennst. Weißt du, inzwischen nennen mich alle nur noch Richard.«
»Na klar, kein Autor mit Selbstachtung würde sich mit etwas anderem zufriedengeben. Worum geht es in dem Buch?«
»Es ist ein Roman.«
»Spannend.«
»Ja, schon«, sagte er schüchtern.
»Ach komm, du musst mir unbedingt mehr darüber erzählen. Ist es eine Liebesgeschichte? Oder was Historisches? Ein Groschenroman?«
Er lachte. »Ein Groschenroman, ja, genau.«
Auf einmal merkte sie, wie nah sie sich in der kurzen Zeit gekommen waren, wie rasch sie von harmlosem Geplauder über ihren Werdegang zum Flirten übergegangen waren und – was noch wichtiger war – dass er ihr wesentlich attraktiver erschien als früher.
»Es ist ein Krimi«, erklärte er schließlich. Sie steckten die Köpfe zusammen, und ihre Knie berührten sich. »Ein Viertel hab ich ungefähr geschafft. Ich wollte schon immer schreiben, bin aber nie dazu gekommen, du weißt ja, wie das ist, mit Arbeit und allem findet man ja kaum Zeit für sich. Aber eines Tages hab ich gedacht, was soll’s, Richie, tu es. Und ich hab es getan. Jedenfalls versuche ich es.«
»Schön für dich! Seinem Traum zu folgen ist nicht leicht. Womöglich wirst du die nächste Susan Boyle«, neckte sie ihn.
»Und du? Ist Thirty Minutes dein Traumjob?«
Kitty sah in ihr Glas und stellte überrascht fest, dass es schon wieder leer war. Hatte sie nicht gerade erst damit angefangen? Richie winkte schon ein neues herbei. »Ich weiß nicht«, sagte sie. Ihr Kopf drehte sich, und ihre Zunge fühlte sich irgendwie zu groß an. »Ich weiß nicht mehr, was mein Traum ist.«
»Dann gefällt es dir also nicht, fürs Fernsehen zu arbeiten?«
»Ich …« Sie zögerte, denn sie hatte plötzlich das Gefühl, jeden Moment könnte alles aus ihr herausplatzen, was sie von der Sendung und ihrer Gestaltung hielt, aber sie blieb auf der Hut. Darüber hatte sie noch mit niemandem gesprochen, aber Richie schien ehrlich nichts von ihrer Katastrophe zu wissen. Seine Augen waren sanft und einladend, unvoreingenommen und ein bisschen gerötet, und sie fühlte sich, als wäre sie wieder zwanzig, als würden sie in der College-Bar sitzen und die Vorlesung verpassen, damals, als nichts ernst gewesen war – zumindest kam ihr das aus ihrer heutigen Perspektive so vor. Sie beschloss, ihm zu vertrauen. »Ich arbeite nicht mehr für Thirty Minutes «, gestand sie.
»Nein?« Er leerte sein Glas. »Was ist passiert?«
»Weißt du das wirklich nicht, oder versuchst du nur nett zu sein?«
»Woher könnte ich das denn wissen? Sollte ich? Kitty, tut mir leid, aber ich war die letzten Monate so mit meinem Buch beschäftigt, ich hab keine Ahnung, was sonst passiert ist. Jemand hat mir heute erzählt, dass die chilenischen Bergarbeiter gerettet worden sind.«
Kitty lachte. »Das ist zwei Jahre her.«
»Tja, siehst du.« Er grinste. »Ich schreibe sehr langsam. Aber Spaß beiseite – du musst es mir natürlich nicht erzählen, wenn du nicht magst, wir wollen es doch hauptsächlich nett haben.« Er lächelte aufmunternd.
»Ich hab eine Reportage vermasselt. Richtig schlimm verbockt, die Sache kam vor Gericht, und man hat mich suspendiert, was so viel heißt wie die werden mich nie wieder einstellen . Jetzt überlegt man sogar schon bei der Zeitschrift, für die ich arbeite, ob man mich behalten kann, weil die Werbekunden Druck machen. Die meinen, damit zeigen sie Verantwortung, dabei lassen die selbst ihre Scheißprodukte wahrscheinlich mit Kinderarbeit herstellen. Ich arbeite trotzdem an einem Artikel für die Zeitschrift, obwohl sie den nicht veröffentlichen können, das ist das Einzige, was mir momentan am Herzen liegt, nur hab ich leider nicht mal mehr zwei Wochen bis zu meiner Deadline, und ich weiß immer noch nicht, worum es genau geht, aber ich will dranbleiben. Und jeden Abend, wenn ich in meine Wohnung zurückkomme, finde ich Hundescheiße, Farbe oder Klopapier auf meiner Tür oder was Colin Murphy mit seinen vierhundertfünfzigtausend Euro und seiner Gang sonst noch so an Schikane für mich einfällt.«
Als sie fertig war, starrte Richie sie mit offenem Mund an. Kitty fiel nichts Besseres ein, als das zu tun, was sie schon hätte tun müssen, als das alles angefangen hatte: Sie warf den Kopf zurück und lachte. Und zwar total hysterisch.
Als
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