Hundert Namen: Roman (German Edition)
Lächeln zu überspielen.
»Willkommen in meiner Welt«, gab er zurück, und in diesem Moment wirkte sein Gesicht so verletzlich, dass sie ihn am liebsten in den Arm genommen hätte. Aber sie nahm sich zusammen, räusperte sich, sah schnell woandershin und kletterte aus dem Auto.
Als sie zum Fahrkartenschalter kam, weigerte man sich dort tatsächlich, ihr ein Ticket zu verkaufen, und ihr Bus fuhr ohne sie weg.
»Verdammter Mist«, schimpfte sie, aber im gleichen Augenblick begann ihr Handy in ihrer Tasche zu vibrieren. »Und was ist jetzt schon wieder?« Sie schaute auf das Display – es war Steve. Sie hatte ihn mitten in der Nacht aus dem Bett geworfen und wahrscheinlich bei seinen Mitbewohnern den Eindruck erweckt, er sei todkrank, also konnte sie seinen Anruf nicht einfach ignorieren.
»Tut mir leid, ich habe denen nur gesagt, was du mir aufgetragen hast, und da haben sie viel zu viel reininterpretiert und jede Menge Wind gemacht. Tut mir echt leid, aber ich hab wirklich nur getan, was du gesagt hast.«
Schweigen. »Wovon redest du denn?«
»Na, von deinen Mitbewohnern natürlich. Die haben mich heute Morgen gesehen.«
»Ach, vergiss meine Mitbewohner, ich war noch gar nicht zu Hause. Hast du gewusst, dass er Journalist ist?«, fragte er hastig.
Sie seufzte und setzte sich auf einen Stuhl im Wartebereich. »Steve, ich weiß, du hast nicht die beste Meinung von mir und meiner Moral, aber …«
»Wusstest du, dass er Journalist ist?« Er klang atemlos, als würde er rennen.
»Wo bist du denn?«
»Beantworte meine Frage, Kitty.«
»Nein. Er hat mir erzählt, er würde ein Buch schreiben. Einen Roman. Er hat nichts davon gesagt, dass er für die Zeitung schreibt. Aber ich komme mir vor wie der letzte Idiot.«
»Was ist passiert?«
»Läufst du oder was? Weil du nämlich klingst, als …«
»Was ist passiert?«
»Mein Gott! Okay, er ist in der Reinigung aufgetaucht, als wäre es der größte Zufall, dabei wohnt er ganz auf der anderen Seite der Stadt. Ich hätte es wissen müssen. Dann sind wir in den Pub gegangen, haben uns das Neueste erzählt, er schien weder was von Thirty Minutes zu wissen, noch schien es ihn zu interessieren, was mich auch misstrauisch hätte machen sollen, aber ich hatte was getrunken, also hab ich ihm irgendwann ein bisschen was erzählt … und dann … ach, ist doch egal. Dann hat der Pub zugemacht. Mehr war da nicht.«
»O doch, da war mehr. Was ist dann passiert?«
»Nein, das ist peinlich, Steve, ich …«
»Erzähl es mir.« Inzwischen schrie er sie an.
»Wir sind bei ihm gelandet.« Ihr wurde wieder übel. »O Gott. Ich fühle mich so … beschissen. Was soll ich jetzt bloß machen?«
Er schwieg. Als sie schon dachte, er hätte aufgelegt, sagte er: »Was meinst du damit – ihr seid bei ihm gelandet?«
»Menschenskind, wie soll ich es denn sonst ausdrücken? Ich hab bei ihm die Nacht verbracht, alles klar?«
»Okay«, sagte er leise, und dann legte er auf.
Völlig geschockt starrte Kitty ihr Handy an. Er hatte aufgelegt, ein Gespräch mit ihr abgebrochen, wahrscheinlich zum ersten Mal. So sehr hatte er sich also vor ihr geekelt.
Im nächsten Moment klingelte das Handy wieder, und in der Annahme, dass es Steve war, der ihr sagen wollte, dass die Verbindung abgebrochen war, ging sie sofort dran. Aber er war es nicht.
»Kitty, alles klar bei dir?«, fragte Sally.
»Nein.«
»Wo bist du?«
»Busáras.«
»Warum?«
»Ich wollte nach Kildare, aber ich hab den Bus verpasst.«
»Ich fahr dich.«
»Du weißt doch nicht mal, wann ich zurückkomme.«
»Wann kommst du zurück?«
»Nie.«
»Perfekt. In zwanzig Minuten bin ich bei dir.«
Kitty und Sally hatten sich vor fünf Jahren bei einem Kurs über TV-Präsentation kennengelernt. Sally war Meteorologin mit einem Prädikatsexamen in Mathematischer Physik, hatte zu diesem Zeitpunkt bei Met Éireann, dem irischen Wetterdienst, gearbeitet und sich vorgenommen, beim irisch-gälischen Fernseh-Wetterbericht einzusteigen. Kitty schrieb damals schon für Etcetera und war dabei, sich im Fernseh-Journalismus einen Platz zu erobern, nachdem sie ein paar kleine, aber erfolgreiche Sendungen bei einem winzigen städtischen Sender gemacht hatte. Da sie natürlich größere Berichte bei einem größeren Netzwerk anstrebte, wollte sie an ihren Moderationsfähigkeiten feilen, was bedeutete, dass sie langsamer sprechen und sich abgewöhnen musste, ständig so besorgt – oder, wie Steve es ausdrückte, so verstopft
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