Hundsleben
schwadroniert
hatte, brandete Applaus auf, und mit Jubelgeschrei schmetterte sie nun: »Und da
ist sie – meine liebe Freundin Leanora Pia Pfaffenbichler. Berlin ist stolz,
dich hier zu haben.« Der Applaus wurde stärker, dann wieder schwächer, und in
die Gesichter trat Ratlosigkeit. Denn mit einer schwungvollen theatralischen Geste
hatte die Laudatorin auf die geöffnete Tür gewiesen, doch niemand trat ein.
Nochmals plärrte sie hinaus: »Und da ist sie – meine liebe Freundin Leanora Pia
Pfaffenbichler. Berlin ist stolz, dich hier zu haben.« In den stimmlichen
Überschwang hatte sich eine leise Beunruhigung gemischt. Der Türrahmen blieb
leer. Alle Blicke hatten sich an dieser Tür wie festgesogen, und auf einmal
passierte etwas. Applaus, der gleich wieder erstarb. Ein Mädchen mit
Sekttablett stand im Türrahmen und lief knallrot an; sonst wurde sie
wahrscheinlich nie von Hunderten von Augen angestarrt.
Die Laudatorin zwängte sich an der Kellnerin vorbei,
und man hörte ihre Stiefel durch den Eingangsbereich klappern.
Die Leute hatten wieder zu reden begonnen, der Sekt
wurde herumgereicht, irgendjemand servierte nun auch Kanapees – streng vegan.
Jo biss in ein Vollkornplätzchen mit Kürbiscreme (garantiert ohne Ei und
Sahne); das Plätzchen war beinhart, die Creme zäh wie Buna, aber immerhin mal
keine Buletten. Sie verfluchte den Tag, als ein schriller Schrei zu hören war.
Irgendjemand von den Veranstaltern rannte zuerst los,
Leute drängten in Richtung Gang; Jo, die direkt an der Tür stand, hielt kurz
inne. Dann sauste auch sie los und gelangte bis zum Piano, das in der
Eingangshalle stand. Die Tür zur Damentoilette stand offen. Die Laudatorin war
in den Türrahmen gelehnt und fächelte sich Luft zu. Am Boden vor ihr lag eine
Gestalt, weiblich, dünn, sie war sicher über sechzig Jahre alt, schwarz
gewandet mit einem Tuch, dramatisch um den Kopf gewunden. Lila geschminkte
Augen, die weit aufgerissen ins Leere sahen. Frau Lepipfa, und diese war tot.
Ausrufezeichen!
Einer der beiden Securitys, die die Einladungen
kontrolliert hatten, ein großer Typ im nachtschwarzen Anzug, der aussah wie ein
Bruder der Klitschkos, packte Jo am Arm.
»Sie haben da nichts verloren, gehen Sie umgehend
zurück in die Weinstube Franken!«
Jo war noch versucht zu sagen: »Aber wenn ich aufs Klo
muss«, doch angesichts des grimmigen Äußeren des Mannes ließ sie diese
Bemerkung mal besser stecken.
Der Klitschko-Bruder drängte sie zurück, und irgendwie
brach völliges Chaos los. Auf einmal wurde es augenscheinlich. All die jungen
Herren in den unauffälligen Anzügen, die nun in ihre Headsets zischten, waren
Bodyguards, ganz klar. Immerhin war einiges an Politprominenz geladen gewesen;
der Wissenschaftsminister, der ja auch für Kunst zuständig war, hatte vor der
Laudatorin ein paar Worte gesprochen, und auch der Landwirtschaftsminister
hatte kurz geredet. Den hatte Jo schon öfter gehört, und sein Lieblingszitat
war wie das Amen in der bayerischen Barockkirche gekommen: »Keine Zukunft ohne
Herkunft.« Die Polizei war aufgelaufen, Polizeiautos parkten nun hinter den
schwarzen Limousinen.
Jo war wieder im Raum Franken, wo die Menschen wie bei
einem Viehtrieb in der Mitte des Raumes standen; und je nach
Persönlichkeitsstruktur reichten die Reaktionen von leiser Genervtheit wegen
der Störung bis zu Ich-bin-aber-wichtig-Aggression: Ich bin ein Promi, holt
mich hier raus, ich will meinen Anwalt. Am lautesten maulten die Journalisten,
der Mann von der »Bild am Sonntag« schrie in einer Tour: »Sie behindern mich,
ich habe einen Termin, ich schreib Sie in Grund und Boden!« Die Politiker und
Angestellten der Vertretung waren vergleichsweise stoisch; der Abgeordnete aus
Peißenberg, der sie alle eingeladen hatte, versuchte mit gerunzelter Stirn klar
und sachlich ein paar völlig Erregte zu beruhigen. Wahrscheinlich wurde man
abgehärtet, wenn man in endlosen Plenarsitzungen gefangen war.
Jo war an ein Stehtischchen getreten, wo ihr
niederbayerischer Kollege, der den ostbayerischen Verband vertrat, aus einer
vom Servicepersonal verlassenen Proseccoflasche unentwegt nachschenkte.
»Frau Dr. Kennerknecht, auch einen?«, fragte er.
Jo nickte. Trank in einem Zug das Glas leer. Hielt es
ihm erneut hin. Irgendwie war ihr auf einmal übel. Lepipfa war ihr auf den
Magen geschlagen. Ausrufezeichen!
»Haben Sie was gesehen?«, fragte Herr Ostbayern.
»Ja, ich befürchte, die Künstlerin ist tot.«
»Aha, na ja, die
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