Hundsleben
schlagartig Magenweh.
»Volker, das ist ja kaum zu glauben. Hallo. Ich weiß
gar nicht, was ich sagen soll.« Sie wusste es echt nicht, und Evi sah
triumphierend aus. Ihr kleines Arrangement hatte funktioniert. Glaubte sie
zumindest.
Dass es ein wirklich netter Abend mit anregenden
Gesprächen wurde, lag vor allem daran, dass Reiber ein paar launige Geschichten
aus der großen Stadt zu erzählen hatte. Von einem Gewerbepark im Osten in
Oberschöneweide, wo sie immer mal wieder zu tun hatten, wo die beiden bulligen
Bodyguards Meyer & Meyer wirkten und wo ein Geschäftsführer mit Wiener
Schmäh, BayWa-Smoking und Herrenhandtäschchen mitten unter den Glatzen und
Ballonseidenanzügen für Ordnung sorgte. Berliner G’schichten eben, selbst
Gerhard musste zugeben, dass Reiber Charme hatte. Außerdem trank Gerhard gerade
sein drittes Weißbier und hatte einen Symposion-Teller verdrückt.
»Essen ist der Sex des Alters«, sagte Jo plötzlich.
»Äh, hab ich kürzlich mal gehört«, fügte sie noch hinzu.
Evi versuchte die Situation zu retten. »Ja, so weit
ist es schon bei uns weisen alten Menschen.«
Und dann kam der Moment, als sie zahlten.
»Ich kann Johanna nach Hause bringen, Frau Straßgütl.
Fahren Sie doch Herrn Weinzirl. Wir können uns die Chauffeursdienste doch
aufteilen«, sagte Reiber.
»Klar, wenn Ihnen das nicht zu aufwendig ist«, sagte
Evi.
»Bewahre! In Berlin sind die Fahrzeiten länger.
Vielleicht mit etwas mehr Ampeln gespickt.« Er lächelte Evi überaus gewinnend
an.
Es war elf, als sie zahlten. Gerhard brummte noch ein
»Bis morgen um zehn« und stieg dann ohne weitere Verabschiedung ein.
Reiber und Jo sahen dem Auto nach. Gerhard war
eifersüchtig, das stand außer Frage. Jo war sich nicht sicher, wie sie das
fand. Es hatte Zeiten gegeben, da hätte sie sich gefreut über eine Regung
seinerseits. Wenn sie mal wieder mit einem Markus, Martin, Stefan, Hubert oder
Michael eine Affäre gehabt hatte. Damals wäre es ein Erfolg gewesen, wenn er
auf die Provokationen mal eingegangen wäre. Und manchmal war durchgeblitzt,
dass Gerhard sie brauchte. Vielleicht weil sie neue, bizarre Aspekte in seine
Polizeiwelt brachte. Vielleicht brauchte er sie, weil so viel Leiden rundum
wehtat. Vielleicht war seine Bodenständigkeit und Beherrschung nur Schutz?
Vielleicht hatte er mit ihr dümmere Sachen gesagt und mehr gelacht. Was war sie
eigentlich für eine Idiotin, einem Menschen, der ständig mit der miesesten
Seite der Menschen zu tun hatte, noch zusätzliches Leid einzubringen? Wie oft
hätten sie in den letzten Jahren eine Chance gehabt, eine echte Beziehung aus
ihrer Freundschaft zu machen? Aber sie hatten das Thema unter andere Worte
gekehrt. Wieso hatte sie nicht mal auf den Tisch gehauen und gesagt: »Ich
will«? Wieso war sie immer auf dem Rückzug gewesen und nie auf dem Vormarsch?
Es war zu spät, zu spät für sie und Gerhard. Aber es war nicht zu spät für
jeden von ihnen. Sie würde es endlich mal besser machen müssen.
Reiber hielt ihr die Tür auf, und außer dass Jo kurze
Angaben zum Wegverlauf machte, redeten sie nichts. Als sie vor dem Haus
ausgestiegen waren, sah Reiber sich um. Er ließ sich Zeit.
»Wieder ein Hexenhaus, dieses hier gefällt mir besser.
Es atmet gleichmäßig, dein altes Haus drohte immer zu ersticken.«
Jo wusste nicht, was sie sagen sollte, sperrte
stattdessen die Tür auf, führte Reiber in die Stube. »Bin gleich wieder da.«
Sie schürte den Kachelofen von der Küche her nach und stellte eine Flasche
Wasser mit zwei Gläsern auf den Tisch. Mümmel beschnuffelte den Neuankömmling
und legte sich dann majestätisch vor ihn auf den Tisch.
»Sorry, ich …«
Reiber lachte. »Ich kenn das noch von damals. Ich
hatte nichts anderes erwartet.« Er schenkte sich Wasser ein, indem er irgendwie
um Mümmel herumhantierte. »Ich hätte schon im Allgäu gerne mit dir Zeit
verbracht.« Das kam völlig unvermittelt.
»Bitte, du?«
»Ja, ich, warum wundert dich das so sehr?«
»Na hör mal, ich war alles, was du gehasst hast. Die
Frau mit dem Zoo, Dick und Dalli und die Ponys, Immenhof, ein Kaninchen hat
deine Schuhe angenagt, eine Katze die Pfote in dein Wasserglas getaucht. Du
hast mich gehasst!«, rief Jo.
»Nein, eher beneidet«, sagte Reiber.
»Beneidet, du mich?«
»Ja, weil du etwas hattest, wofür du bereit warst zu
kämpfen. Du hast gekämpft für dein Allgäu. Für deine Ideale. Dafür, die Umwelt
zu erhalten. Ich habe dich beneidet, weil du ein Zuhause
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