Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hundsleben

Hundsleben

Titel: Hundsleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
Vom Netzwerk:
hattest. Eine
Familie.«
    »Ja, bestehend aus einem Karnickel, zwei Pferden und
zwei Katzen.«
    »Egal, du warst so echt. Und so schön. Und so
erfolgreich, ich hatte immer die falschen Entscheidungen getroffen.« Reiber
lächelte sie an.
    »Was? Du? Der Kluge, der Schöne, der Sportliche, der
Erfolgreiche, der Eloquente, der Mann mit dem vorprogrammierten Aufstieg auf
der Karriereleiter? Was hätte ich kleines Licht mit meinem kleinen Tourismusjob
dazu sagen sollen?«
    »In den echten, wichtigen Lebensfragen habe ich
versagt. Ich war mal verheiratet, bevor ich ins Allgäu kam. Genau drei Monate lang. Meine Frau ist dann mit einem Fitnesstrainer aus ihrem Studio abgehauen.
Ich bin ins Allgäu geflüchtet, kein guter Fluchtpunkt überdies.«
    »Das wusste ich nicht.« Jo sah ihn überrascht an.
    »Keiner wusste das. Ich hatte große Probleme, allein
zu sein. Die Frau, die mich dann nach der Heirat verlassen hatte, war immer da,
wenn ich kam. Ich wollte nicht alleine fernsehen, nicht alleine einschlafen. In
der Rückschau hab ich sie wahrscheinlich erdrückt, zumal ich mir mit meinen
Dienstzeiten ja auch herausnahm, zu kommen und zu gehen, wie ich wollte.«
Reiber schenkte sich Mineralwasser ein. »Ich habe lange gebraucht, das zu
kapieren.«
    Jo sagte lange nichts. In ihrem Kopf ging alles bunt
durcheinander, sie hatte einige Mühe, ihre Gedanken zu sortieren. »Ausgerechnet
du sagst mir, du könntest nicht allein sein, wo du doch alles und noch viel
mehr in dir trägst, was reichen müsste. Seltsam, wie sehr Lebenskonzepte doch
variieren. Ich wäre glücklich, jemanden zu haben, der mich liebt, weil ich so
bin, wie ich bin, weil ich so denke, wie ich denke, und handle, wie ich handle.
Nicht den, der mich trotz all meiner grauenvollen Eigenschaften zu lieben
glaubt. Mir würde es mehr geben, alle paar Tage eine liebe Mail zu bekommen,
eine SMS : ›Lieb dich‹, ›Vermiss
dich‹, anstatt jeden Abend am selben Esstisch zu sitzen. Liebe und Zuneigung,
Freundschaft und Freiheit finden im Kopf statt, im Herzen, in der Seele …«
    Reiber nickte. »Ich hab mich verändert. Ich habe was
dazugelernt – glaub ich.«
    »Das war jetzt aber kein Antrag, oder?« Der Witz war
misslungen, fand Jo.
    »Nein, aber ich bin heute nicht mehr auf der Flucht.
Damals war ich es. Getrieben. Gejagt. Und du warst so verwurzelt. So erdig, so
geerdet. Deshalb hab ich dich beneidet.«
    »Volker, ich weiß jetzt gar nicht, was sich sagen
soll. Wieso hab ich das nie bemerkt?«, fragte Jo.
    »Weil du nur Augen für Gerhard gehabt hast?« Er
lächelte wieder dieses Lächeln, für das sie ihn am liebsten sofort geküsst
hätte.
    »Aber Gerhard, er und ich, wir waren doch immer nur
gute Freunde, wir kannten uns ewig, wir …« Jo beendete den Satz nicht. Sie und
Gerhard, diese »Neverending Story«.
    »Ihr wart vielleicht Freunde, aber gar nicht so gut
zueinander. Du hast diesem Weinzirl ganz schön zugesetzt. Jo, damals vor
hundert Jahren im Allgäu …«
    »Sieben Jahren …«
    »Ja, aber es kommt mir vor wie hundert. Vor hundert
Jahren, da war ich gefangen in meinem Job, gefangen in der Falle, als
Zug’roaster in einer Region arbeiten zu müssen, die nichts verzeiht. Gefangen
in meiner Rolle. Ich war der schnieke Arsch aus Augsburg, ich habe alles getan,
um diese Rolle perfekt zu spielen, und ihr habt alles getan, mir ja keine
Chance zu geben.«
    »Komm, so schlimm waren die Allgäuer auch wieder
nicht!«
    »Doch, schlimmer! Und du warst am schlimmsten.
Selbstgefällig in deiner Landpomeranzenarroganz. Du hast das kultiviert und
allen anderen das Gefühl vermittelt, dass wir Spießer sind. Du mit deinem
nonkonformen Lebensstil, wir Idioten, die wir sogar noch das Gesetz hüten.«
    Jo blickte zu Boden und wusste, dass er recht hatte.
Sie predigte immer Toleranz, aber sie hatte ihren Toleranzbegriff stets auf
ausgeflippte Künstler, Kiffer und Sonderlinge angewendet, nie aber auf all
jene, die sich für den Weg mit Reihenhaus, Kindern und Adria-Urlaub entschieden
hatten. Trotzdem sagte sie: »Das ist ganz schön hart, oder?«
    »Nein, eigentlich nicht. Ich glaube, ich war nicht der
Einzige, der so empfunden hat. Deine damalige Assistentin Patrizia hat ziemlich
darunter gelitten, sie hat sich ja nicht mal getraut, dir zu sagen, dass sie
baut, in einem spießigen Neubaugebiet.«
    Jo schluckte. »Du hast damals über mich nachgedacht?«,
fragte sie schließlich zögernd. »Warum habe ich das nicht bemerkt?«
    »Weil du eine klare Meinung von mir

Weitere Kostenlose Bücher