Hundsleben
Bier,
Reiber Wasser.
Wilhelmine war immer noch völlig konsterniert, dass
jemand Ionela Raţ halb totgeschlagen hatte. Aber sie reagierte
doch anders, als alle Frauen, die Gerhard kannte, es getan hätten. Sie weinte
nicht, war weder hysterisch noch panisch, sie stellte auch nicht unentwegt die
Frage nach dem Warum. Aber sie stellte intelligente Fragen: Was jemand so gegen
Ionela aufgebracht habe? Warum sie so oft mitten in der Nacht telefoniert habe
– auf Deutsch, was Wilhelmine nicht verstanden hatte. Obwohl sie aus
Hermannstadt kam, ihre Familie war eigentlich ungarischstämmig, Ungarisch hätte
sie verstanden.
»Hatten Sie denn Besuch aus Deutschland?«, fragte
Reiber in bestem Oxford-Englisch, und Wilhelmine erzählte bereitwillig, dass
sie Leanora Pia Pfaffenbichler einmal getroffen hätte. Frau Pfaffenbichler
hatte drei Hunde mitgenommen.
»Und wie fanden Sie die Dame?«, fragte Gerhard.
»Pretty bizarre« , meinte
Wilhelmine mit einem leisen Lächeln. »The Germans have different attitudes
towards animals. More dramatic, more serious. As if they were humans. Better
humans, I guess.«
Gerhard verstand sie sehr wohl, die Zusammenfassung
brachte es auf den Punkt. Und klang in Englisch einfach besser als in Deutsch.
Bevor er sich noch eine Erwiderung zusammenstammeln konnte, erhob sich Reiber.
»So, ich geh ins Bett. Noch eine schöne Nacht.« Es war
der Unterton in seiner Stimme. Jetzt kapierte es Gerhard auch. Reiber räumte
das Feld. Sein »Good night« wurde von Wilhelmine mit einem entzückenden
Lächeln quittiert. Alle hatten verstanden, bloß Gerhard hatte wieder mal nichts
geschnallt.
Er trank mit der schönen Rumänin noch zwei grauenhaft
starke Schnäpse, die wahrscheinlich blind machten. Allerdings würde es ab jetzt
wohl genügen, sich auf den Tastsinn zu verlassen. Und wirklich waren ihre
Finger an bestimmten Stellen fast nicht auszuhalten, er war ja auch etwas aus
der Übung. Aber er war frei – so frei wie in diesem Moment war er selten
gewesen. Er kannte diese Frau gerade mal einige Stunden, und er wusste, dass er
auf ihrer Tanzkarte vor allem wegen seines Geschicks mit dem Hund einen Platz
bekommen hatte. Er kannte sie nicht, und doch hatte er ein Gefühl von tiefer
Freundschaft für sie. Er hatte keine Ahnung, mit welchem anderen Mann er sie
teilte, ob sie verheiratet war oder Kinder hatte. Sie war eine Frau, vor der er
in dieser kurzen Zeit Achtung erworben hatte. Weil sie weder in ihren Worten
noch in ihren Taten unsensibel war. Weil sie so souverän reagierte und doch so
gar nicht abgestumpft war. Im Gegenteil! Ganz im Gegenteil. Gerhard hatte sich
nie etwas auf seine Fähigkeiten im Bett eingebildet, aber er hatte nur sehr
selten das Gefühl gehabt, dass Sex so hinreißend sein konnte und dass eine Frau
sich so bedingungslos hingab.
Als er erwachte, war sie weg. Als er in seine Jeans
stieg, hatte ein Bein einen dicken Knoten. »Knots are for remembrance!« ,
stand mit Lippenstift geschrieben auf einem Zettelchen. Ganz klein darunter
eine E-Mail-Adresse.
ACHTZEHN
Als Gerhard in den Speisesaal hinunterging, war Reiber
bereits da. »Guten Morgen!« Keinerlei Ironie lag in seiner Stimme. Kein dummes
Grinsen. »Răzvan hat angerufen. Wir fahren nach Bukarest. Er will uns
Ergebnisse präsentieren.«
Mihnea-stets-zu-Diensten hatte bereits die Taschen
verladen, er nahm nun eine andere Strecke über Râşnov und Bran. Es war wieder
so weit, Mihnea gab den perfekten Reiseführer: »Hier würden Sie nun das
Dracula-Schloss besichtigen können, würden wir uns die Zeit nehmen können,
anzuhalten. Aber leider nein, schade. Nun, ich muss Ihnen aber auch sagen, dass
Sie im Dracula-Schloss zu Bran nicht einen Hauch von Dracula entdecken würden.
Unsere Törzburg oder Castelul Bran dient der Welt als Dracula-Schloss. Es hat
mit der Geschichte nichts zu tun. Lediglich die Figur von Vlad Tepeş, der als
›Pfähler‹ bekannt ist, gibt Anlass zu Spekulationen. Vielleicht war er das
Vorbild. Ob er sich im fünfzehnten Jahrhundert aber in der Burg aufgehalten
hat, ist fraglich. Die Burg ist natürlich dennoch sehenswert.«
Mihnea fuhr langsam durch Bran, sie erhaschten einen
Blick auf das Schloss, das trutzig und irgendwie trotzig über dem Ort thronte.
Busse parkten überall, Autos standen quer, zu Füßen der Burg tobte ein
unüberschaubares Chaos zwischen Souvenirbuden. Nichts ging mehr. Ein Mann
klopfte an Gerhards Fenster. Er öffnete.
»Dracula wine, very good« ,
rief der Mann und hielt
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