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Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Titel: Hunkelers erster Fall - Silberkiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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nicht genau sagen können. Sie hatte nie lange darüber nachgedacht, sie hielt nichts von solchen Fragen. Es war eben so, wie es war. Sie hatte die Welt nicht eingerichtet. Sondern sie hatte eine Welt angetroffen, in der bestimmte Regeln galten; sie hatte gelernt, sich an diese Regeln zu halten. So ging es am besten. Und ein Leben ohne Mann, das wussten alle, war eine halbbatzige Sache. Da konnte man sagen, was man wollte, aber so war es. Und mit Erdogan hatte sie Glück. Der war anständig zu ihr und lieb und rücksichtsvoll. Er hatte eine Feinheit an sich, die sie noch nie erlebt hatte. Irgendetwas Orientalisches war das, etwas wie Weihrauch und Myrrhe, wovon sie im Religionsunterricht gehört hatte. Sie hatte noch nie eine wirkliche Moschee gesehen, aber sie hatte als Kind ein Märchenbuch besessen mit Geschichten von Aladin und der Wunderlampe drin und von Ali Baba und Sindbad dem Seefahrer und der feingliedrigen, schwarzäugigen Scheherazade. Auf dem Titelblatt war eine märchenhafte Stadt abgebildet gewesen mit einem Dutzend Minaretten, die in den dunkelblauen Himmel standen, in dem ein goldener Halbmond hing. Sie wusste, dass diese Stadt Istanbul hieß, die Stadt am Bosporus, am Goldenen Horn, die Stadt des Sultans Suleiman des Prächtigen mit seinem Serail.
    Sie wäre liebend gern dorthin gereist, schon in jungen Jahren, als die allgemeine Reiserei noch nicht so in Mode gewesen war wie heute. Sie hatte es nie geschafft, wohl auch deshalb, weil sie es nie richtig versucht hatte. Denn so schön wie auf jenem Titelblatt konnte das wirkliche Istanbul gar nicht sein.
    Sie wäre auch jetzt, zusammen mit Erdogan, gern hingefahren, auch nach Ephesus, in dessen Nähe er zu Hause war. Sie wusste, dass sie es nie tun würde. Erdogan würde sich in seinem eigenen Land, in seiner angestammten Umgebung, vor ihren Augen verflüchtigen. Er würde ihr ohne weiteres abhandenkommen.
    Ihre Liebe zu Erdogan war nur außerhalb der Türkei möglich. Und am besten möglich war sie hier in der Schweiz, in Basel, in dieser Wohnung.
    Als der Wecker klingelte, drückte Erika auf den Knopf. Sie erhob sich, ging in die Küche, setzte Wasser auf und deckte den niederen Tisch im Wohnzimmer. Die Diamanten ließ sie liegen, im Kreis, sie traute sich nicht, ihn zu zerstören.
    Als sie den Kaffee hereinbrachte, war Erdogan wach. »Heute gehe ich nicht arbeiten«, sagte er, »und du gehst auch nicht arbeiten.«
    So etwas hatte sie erwartet. Sie antwortete nicht sogleich, denn sie musste zuerst überlegen, und am frühen Morgen gleich nach dem Aufstehen brauchte das seine Zeit. Sie goss sich Kaffee ein, schenkte Milch dazu, trank, packte dann ein Stück Schachtelkäse aus und meinte: »Das wäre das Dümmste, was wir tun könnten, denn das würde auffallen.«
    Erdogan setzte sich auf, aber er erhob sich nicht, er blieb sitzen auf dem Bettrand, rieb sich seine Zehen und gähnte. »Ruf Nelly an. Sie soll für dich einspringen. Und ich habe Zahnweh, ich kann nicht arbeiten. Heute machen wir Blauen. Heute ist Fest. Heute bin ich reich.«
    Sie wusste, dass sie nicht widersprechen durfte.
    Guy Kayat hatte eine schlimme Nacht hinter sich. Er lag in seinem Zimmer im Hotel Drei Könige, er hörte das Hupen eines Lastkahns draußen auf dem Rhein. Sein Bett schien zu beben unter dem Stampfen des Schiffmotors, aber das war wohl Einbildung. Kayat fühlte sich zittrig. Er hatte sich während der Nacht mehrmals erheben und die Toilette aufsuchen müssen, zwischendurch war er in einen leichten, nervösen Schlaf gesunken. Sie hatten ihn ganz schön gefickt auf dem Lohnhof, diese Arschkriecher, dachte er, aber er selber hatte sie eben auch gefickt. Die Diamanten hatten sie nicht gefunden, und zu beweisen war ihm nichts.
    Er erhob sich und ging zum Fenster. Draußen in der schwachen Morgendämmerung floss der Rhein. Ein Mann in gelbem Anorak stand pfeiferauchend gleich unterhalb des Fensters auf dem Treidelweg und fischte. Es schneite noch immer, die Häuser jenseits des Wassers lagen hinter einem Vorhang aus Flocken. Der Lastkahn hatte Mühe vorwärtszukommen, er hupte wieder, ein langgezogener, dumpfer Ton. In der Steuerkabine über der Kapitänswohnung brannte ein Licht. Ein Mann stand am Steuer, reglos den Blick flussaufwärts gerichtet auf das Joch der Mittleren Brücke, das er anpeilte.
    Kayat trat zum Telefon, hob den Hörer ab und bestellte ein Frühstück mit Lachs. Dann setzte er sich an den Tisch und überlegte.
    Er wurde überwacht, das war ihm klar.

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