Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
überlegte. »Heute Morgen«, sagte er, »als ich noch schlief, hat mich ein fremder Mann angerufen und gefragt, wo ich die Diamanten versteckt habe.«
»Ja«, sagte der andere Italiener, »irgend so ein Arschloch. Der hat uns mitten aus dem Schlaf geholt.«
»Und Sie?«, fragte Hunkeler den Jugoslawen. »Hat Sie auch einer angerufen?«
»Nein, ich habe kein Telefon. Aber ich bin vorschriftsmäßig angemeldet, alles in Ordnung, alles ehrlich.«
Draußen fuhr ein Moped heran. Ein kleiner Mann saß drauf mit rotem Helm. Er stieg ab, zog den Zündschlüssel aus dem Schloss. Dann klemmte er einen Plastiksack auf den Gepäckträger, nahm seine Tasche und kam herein. Er blieb verwundert stehen, als er die fremden Männer sah. »Entschuldigung«, sagte er, »ich weiß, dass ich zu spät bin. Der Schnee.«
Er trat zu seinem Kasten. »Warum ist er offen?«
»Das ist Erdogan Civil«, stellte Berger vor.
Hunkeler drehte die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Freut mich«, sagte er, »wie geht’s Ihrem Zahnweh, Herr Civil? Besser, hoffe ich?«
Der kleine Mann zögerte. Er nahm den Helm ab, seine Stirnglatze war gerötet. »Danke, ja, es ist besser.«
»Wo saß der Schmerz genau?«, fragte Hunkeler.
Civil öffnete den Mund und zeigte mit einem Finger nach hinten oben links. »Hier.«
Madörin nahm die Tasche des kleinen Mannes und leerte sie aus. Drei in Alufolie eingepackte Brote fielen heraus, eine Bierflasche kollerte zu Boden, zerbrach aber nicht.
»Wurstbrote«, sagte Civil, »Mettwurst. Was wollen Sie?«
»Hier ist eingebrochen worden«, erklärte Hunkeler, »heute Nacht. Wir fragen uns, weshalb. Wissen Sie es? Ich heiße übrigens Peter Hunkeler und bin Kommissär bei der Basler Polizei. Haben Sie eine Ahnung, was hier jemand hätte suchen können?«
»Nein. Hier gibt es nichts zu stehlen. Wir sind arm wie die Ratten.« Er runzelte die Stirn und betrachtete die Bierflasche auf dem Boden. »Darf ich meine Sachen wieder einpacken?«
Madörin bückte sich und hob die Flasche auf. »Wir machen das schon. Entschuldigung. Wie ist das übrigens? Dürfen Sie Bier trinken, als Türke, meine ich? Oder sind Sie Christ?«
»Nein, Muslim. Aber ich trinke das, was ich trinken will und was mir guttut.«
Hunkeler klopfte ihm leicht auf den Rücken. »Da haben Sie recht. Allah schaut in die Seelen der Menschen und nicht in die Mägen, nicht wahr?«
Der kleine Mann schaute ihn verständnislos an, drehte sich weg und zog den Mantel aus.
»Übrigens«, sagte Hunkeler, »hat Sie heute Morgen ein Mann angerufen und sich nach Diamanten erkundigt?«
»Nein, sicher nicht.«
»Warum sagen Sie: ›Sicher nicht‹?«, bellte Madörin. »Warum sagen Sie nicht einfach nein?«
»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen«, sagte der kleine Mann, »es tut mir leid.«
Berger tippte sich an die Schläfe. »Es kommt mir etwas in den Sinn. Vorgestern nach Feierabend musste Herr Civil noch einmal hinunter. Der Anschluss Badischer Bahnhof war verstopft. Civil hat ihn wieder aufgemacht.«
Hunkeler schob sich die Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie an. »Und? Was haben Sie gefunden?«
Civil überlegte ziemlich lange. Er schüttelte langsam den Kopf. Dann schien er sich zu erinnern. »Stimmt, ich war unten. Es waren Windeln und solche Sachen. Und dann lag noch ein grünes Frauenkleid darin, wenn Sie das meinen. Es war zerrissen und verschissen.«
Er stand da, als ob er nicht weiterwüsste, unterwürfig fast, mit niedergeschlagenen Augen. Es war ihm nicht wohl, das war deutlich zu sehen. Aber wem war es schon wohl, wenn er von der Polizei ausgefragt wurde?
Hunkeler zögerte. Das war vielleicht alles Zufall, der verstopfte Zubringer, das Zahnweh, der Einbruch. Er schaute die Männer an, die im Raum standen. Sie hatten gute Gesichter, das waren keine Verbrecher, und wenn jemand von ihnen das Glück haben sollte, unverhofft eine Handvoll Diamanten zu finden, so war ihm das gewiss zu gönnen.
»Hören Sie mal«, sagte Madörin, der die Beine breit gestellt hatte, Hüften nach vorn geschoben und Nacken gestreckt, die typische polizeiliche Drohhaltung war das, lächerlich und doch gefährlich, »hören Sie mal, Herr Civil, wenn Sie meinen, Sie können uns Märchen erzählen, so täuschen Sie sich. Wir sind hier nicht in der Türkei. Hier wird ehrlich und sauber die Wahrheit gesagt. Sie sind doch Saisonnier, oder nicht?«
Der kleine Mann hob die Augen. »Ich bin ein ehrlicher Mann, ein Mann von Wort, glauben Sie
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