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Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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hinunter ins Bad. Was bin ich gelaufen, bergauf und bergab. Immer hatte ich einen Haselstecken bei mir, wegen der großen Hunde. Man muss den Hunden den Stecken zeigen, dann haben sie Angst. Das war eine gute Lehre für mich, eine Schule fürs Leben.
    Als ich sechs Jahre alt war, ist mein Vater mit dem Vornamen Marin gestorben. An Herzschlag. Er ist heimgekommen von einem Postgang, am Nachmittag, es war Sommer und heiß. Er hat über Schmerzen in der Brust geklagt, hat sich ins Bett gelegt und war am Abend tot.
    Das war ein schwerer Schlag für uns alle. Wir wussten nicht, werden wir armengenössig oder nicht. Wir hatten nur zwei Äcker, einen mit Kartoffeln und einen mit Weizen. Dazu eine Sau und ein paar Hühner. Zu wenig, um uns am Leben zu erhalten.
    Nach ein paar Wochen ist dann Bericht gekommen, meine Mutter könne Posthalterin werden. Da haben wir alle aufgeschnauft. Das war nämlich nicht selbstverständlich damals, dass sie Posthalterin werden konnte. Schließlich war sie eine Frau. Jetzt hieß es doppelt anpacken. Schließlich fehlte der Vater.
    Sie hieß Marie, kam ursprünglich aus einem Dorf bei Delémont und war eigentlich eine Welsche, eine Jurassierin. Aber sie hat sich gut eingelebt. Von ihr habe ich meine Französischkenntnisse.
    Sie ging jeden Nachmittag um drei mit einer kleinen Weinkaraffe hinüber in den Spezereiladen und kaufte einen Einer Bordeaux. Das ist mir geblieben, denn Bordeaux war teuer, sie hätte auch billigeren haben können. Nie hat sie mich geschickt, immer ist sie selber gegangen. Sie hat dann den Wein in der Küche getrunken, ich durfte dabei sein. Das war feierlich, jeden Tag. Nie hat sie mich geschlagen. Im Gegensatz zum Vater und zum Lehrer, die immer geprügelt haben. Geschadet hat es nichts, man wird so abgehärtet für das Leben. Ich war ja auch bald stärker als meine Mutter. Ich machte, was ich wollte. Das hat mir schon früh große Schwierigkeiten gemacht. Aber ich habe mich durchgesetzt. Das Leben ist ein Kampf. Das habe ich früh gelernt. Der Stärkere gewinnt.
    Sie hat immer zu mir gehalten. Die Post habe ich stets ausgetragen. Das musste sein. Ich habe zu der Sau geschaut. Immer im Februar ist eine neue gekommen. Im Frühling und im Herbst habe ich die Gülle auf das Feld geführt, unsere und die der Sau. Das hat erbärmlich gestunken. Die Schwestern waren schon ausgezogen, und der Bruder hat in Basel eine Kaminfegerlehre gemacht. Ich habe die Gülle aus dem Güllenloch geschöpft in eine Holzkarrette hinein, die dafür da war. Ich habe dann die Karrette auf die zwei Äcker gefahren und habe die Gülle mit dem Küfi schön verteilt. Das war damals wie im Mittelalter.
    Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal gepaarte Schuhe bekam. Früher waren beide Schuhe gleich, der rechte und der linke. Der Vater, das weiß ich noch, holte in Laufen das Leder und bestellte den Schuhmacher. Der kam, setzte sich in die Küche, nahm Maß an den Füßen und machte die Schuhe, beide gleich. Eines Tages sagte er, es gebe jetzt etwas Neues. Er nahm wieder Maß, machte dann aber zwei verschiedene Schuhe, einen für den rechten Fuß und einen für den linken.
    Mehr weiß ich nicht zu berichten von meiner Mutter Marie. Sie ist gestorben, als ich 18 war und bereits meine Konditorlehre in Laufen machte. Auch an Tuberkulose, wie mein Bruder. Das lag in der Familie. Deshalb habe ich nie geraucht.«
    Hunkeler schloss die Augen. Er spürte, wie Tränen herausdrückten, er hörte sie aufs Heft tropfen. Die kalten Finger der Nacht, dachte er, die Knochenfinger des Todes. Und das starke Herz des Freddy Lerch.
    Er war ziemlich betrunken, das war ihm klar. Aber es war ihm auch klar, dass ihm das egal war. Wann zum Teufel hatte er denn das letzte Mal geweint? Vor einem Jahr, vor zwei, vor drei Jahren? Bei seiner Scheidung? Oder damals, als seine Tochter Isabelle wortlos aufgestanden war und die Wohnung verlassen hatte. Oder war es am Sterbebett seines Vaters gewesen, als er den Kampf des alten, verbrauchten Mannes mit dem Tode beobachtet hatte?
    Nein, damals hatte er keine Träne vergossen. Warum auch? Dieses Sterben hatte etwas Großartiges, Bezwingendes gehabt. Die beruhigende Hand Seiner Majestät, die das Leben abholte, fiel ihm ein. Er schluchzte jetzt richtig, es schüttelte ihn vor Trauer, vor trunkenem Elend. Gut war dieses Schluchzen, beruhigend, tröstlich.
    Er grinste plötzlich, schneuzte sich, trocknete sich die Tränen ab. Da hatte er einen guten Fund gemacht. Das war sein Kollege, der

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