Hunkelers zweiter Fall - Flattermann
vor der Hausmauer. Ein leichter Wind war jetzt da, ein Wehen in den Bäumen. Drüben über den schwarzen Hügeln blitzte es fast ununterbrochen, eine Regenwand hatte sich zwischen Himmel und Erde geschoben. Er las, was mit FRÜHES STREBEN überschrieben war, mit Ausrufezeichen und zweimal mit Lineal unterstrichen.
»Wenn ich mein Leben überdenke und mich innerlich frage, was mir in meinen jungen Jahren am meisten gefehlt hat, so komme ich auf die Antwort, dass mir am meisten die starke, führende Hand meines Vaters mangelte. So wuchs ich auf wie ein wildes Fohlen, das nicht zu bändigen ist. Meine Mutter ließ mich machen. Ich erfuhr ihre sorgende Liebe, aber nicht ihren festen Zwang. So geschah es, dass ich schon früh in Schwierigkeiten kam und meine Hörner selbst abstoßen musste. Der Lehrer fand nicht den richtigen Zugang zu meinem heißen Herzen. Es gab eine Gesamtschule damals in Barzwil. Was das bedeutete, kann man sich unschwer vorstellen. Acht Jahre lang hatte ich den gleichen Büffel. Ohrfeigen mitten ins Gesicht, genau abgezählte Schläge mit dem Haselstecken auf Handteller und Gesäß. Zum Glück habe ich stets eine schnelle Auffassungsgabe mein Eigen genannt. So bin ich nie sitzengeblieben. Aber ich lernte zu wenig, um mein eigentliches Berufsziel, das Erlernen des Maschineningenieur-Berufs, zielstrebig verfolgen zu können.
Als der Büffel einmal einen schwachbegabten Kameraden, der mitten in der Stunde in die Hosen gemacht hatte, so fest verprügelte, dass dieser kaum mehr stehen konnte, habe ich eingegriffen. Ich hätte es nicht tun sollen, aber ich habe es getan, und ich muss gestehen, dass ich es noch heute nicht bereue. Ich ging nach vorn, ich war damals schon fast 15 und kräftig. Ich nahm ihn an beiden Oberarmen und drückte ihn gegen die Wand, dass er ganz weiß wurde im Gesicht. Mehr habe ich nicht getan, aber das hat gereicht.
Der Gemeindeammann, auch so ein Büffel, kam zu uns nach Hause und verbot der Mutter, mich in die Schule zu schicken. Es gab ein großes Theater, und ich kann es meiner treuen Mutter verdanken, dass ich nicht in die Festung Aarburg kam. Ihr hat dieser Vorfall mehr zugesetzt, als sie gezeigt hat, es hat ihr innerlich das Herz gebrochen. Aber ich konnte nicht anders, verzeihe mir Jesus Christus.
Da mein Lehrvertrag mit der Konditorei Montavon in Laufen bereits unterschrieben war, trat ich einige Monate später meine Lehrstelle an. Mit frischem Mut, ich ließ mich nicht unterkriegen. Dort habe ich gearbeitet wie ein Negersklave. Zwölf bis vierzehn Stunden pro Tag, auch am Samstag. Um drei am Morgen aufstehen, Teig anrühren, kneten. Dann die Patisserie. Vanille, Mandeln usw. Die schweren Zucker- und Mehlsäcke schleppen. Das Brot austragen, die Torten, Teigmaschine putzen, Backofen reinigen. Das waren lange Tage. Ich bereue sie nicht. Ich habe gelernt zu arbeiten. Ich habe die Lehrabschlussprüfung mit der Note Gut bestanden.
Es rief das Vaterland. Ich wollte eigentlich keinen Militärdienst tun. Aber damals regierten in Deutschland die Nazis, und ich habe ohne zu murren die Flabrekrutenschule in Payerne gemacht. Ein großer Stumpfsinn, zugegeben. Aber die Armee muss sein, sonst kann uns jedes fremde Land befehlen. Und die Kameradschaft war ganz ausgezeichnet.
Schon früh haben die Frauen in meinem jungen Leben eine beachtliche Rolle gespielt. Ich gebe das zu, ohne rot zu werden. Warum sollte ich auch? Das gehört zur Natur. Ich achte jede Frau, ich halte sie hoch. Sie sind unsere Entsprechung. Vielleicht kommt diese Hochhaltung von meiner Mutter, die ich über alles geliebt habe. Deshalb mochten mich die Frauen stets, weil ich sie achte. Und ich gestehe, dass sie mich noch immer, wo ich jetzt alt bin und diese Zeilen schreibe, mögen. Es war auch etwas an mir, das hat ihnen gefallen. Ich wollte sie nämlich nie besitzen oder sogar heiraten. Ich wollte nur lieb sein zu ihnen. Sonst ließ ich sie in Ruhe. Das hat ihnen imponiert und imponiert ihnen noch heute. Bis auf eine. Die hat mir den Bogen gegeben.
Ihren Namen nenne ich nicht. Sie lebt noch heute. Ich habe sie besucht, als ich zurückkam von der See. Sie hatte immer noch die gleichen goldgelben Augen. Wie Bernstein. Immer noch zierlich und fein. Und ich bin sicher, dass sie noch heute so aussieht. Ich könnte mich sofort wieder in sie verlieben, weil ich sie liebe. Sie mich auch. Das habe ich sogleich gesehen. Das merkt man, wenn man sich liebt.
Sie war damals, als ich sie kennenlernte, schon verheiratet.
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