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Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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Freddy. Er würde dieses Heft behüten, geschehe, was wolle.
    Er legte es in den Eiskasten zurück, ging ins Schlafzimmer hinüber und zog sich aus. Das Nachthemd duftete seltsam, nach einem fremden Mann.
    Ende Woche fuhr er mit Hedwig ins Elsass.
    Am Morgen kurz vor neun hatte er sich noch einmal den Rhein hinuntertreiben lassen, mitten im Fluss, ausgestreckt auf dem Rücken, Blick im Himmel, durch den die Mittlere Brücke glitt. Das leise Geräusch der Kiesel in den Ohren, die zunehmende Kühle im Leib. Er hatte sich wohlig gefühlt, aufgenommen vom Wasser, behütet im Fließen. Weinen ist gut, hatte er gedacht, als er an Land gestiegen war. Tränen sind Salzwasser, das Ziel alles Fließens, ein Stück Heimat.
    Er hatte das Badehaus bald verlassen, denn der Einzug der fröhlichen Sommerleute fand statt. Müde Proleten, der Blick noch verhangen vom Vorabend – das Bier, das beruhigende, tröstende –, junge Mütter mit krummbeinigen Kindern, die an den Oberarmen rote Luftkissen trugen und aufgeregt krähten, schöngliedrige Jungfrauen, begierig, sich dem Sonnengott Sol hinzugeben. Luftmatratzen, Sonnenschirme, knallrot und eigelb, das Plastikzeitalter schlug erbarmungslos zu.
    Er hatte sich in den Sommereck-Garten gesetzt und Zeitungen gelesen, drei Stück hintereinander. Im Grunde stand in allen das Gleiche, über Bosnien und über die Hitzewelle. Aber drei Zeitungen waren eben doch besser als bloß eine. Es hätte ja sein können, dass trotz der allgemeinen Gleichmacherei jemand der schreibenden Zunft plötzlich eine eigene Meinung geäußert hätte. Dem war auch heute nicht so. Hingegen las er im Lokalblatt eine amtliche Mitteilung, kleingedruckt, einspaltig, knapp und präzise, die besagte, dass Freddy Lerch, geboren am 1. Februar 1916, von Beruf Konditor, ledig, am kommenden Montag, 14 Uhr, auf dem Friedhof Hörnli bestattet werden würde.
    Er legte die Zeitungen auf einen Haufen und stellte den Aschenbecher darauf, damit sie der Wind nicht fortblies. Aber das wäre nicht nötig gewesen. Die Luft stand still, rührte sich nicht. Kein Finger griff in das Laub der Kastanien, eine Hitze wie zu Pharaos Zeiten.
    Jetzt fuhr er mit Hedwig über die Sundgauer Höhen, vor sich die dunklen Vogesen, links und rechts die sattgrünen Maisstauden.
    »Wo nehmen die eigentlich das Wasser her?«
    »Was sagst du?« Sie war eingenickt, mit hochrotem Kopf, sie schaute ihn an mit schläfrigen Augen.
    »Ich frage mich, woher die Maisstauden das Wasser nehmen bei dieser Dürre. Das ist doch alles ausgetrocknet, metertief. Und die Maisblätter sehen aus, als bräuchten sie einiges an Flüssigkeit.«
    »Deine Probleme möchte ich haben.« Sie räkelte sich und schlief sogleich wieder ein.
    Das Haus war kühl, ein Lehmbau, und Lehm, so hatte ihm der alte Zimmermann Felix Schmitt gesagt, isolierte hervorragend.
    Sie setzten sich in die Küche, gossen Tee auf, aßen Aufschnitt und Käse, wortlos, den Katzen zuschauend, die schnurrend Büchsenfleisch fraßen. Dann legten sie sich aufs große, hohe Bett, nackt und warm, Haar in Haar, Knie über Knie, und er griff ihr zwischen die Beine.
    Als er erwachte, war es seltsam ruhig. Kein Ton, kein Rascheln, kein Flüstern. Niemand rief, keiner brauchte Hilfe. Und er hatte doch irgendetwas geträumt von hereinbrechendem Wasser, von einer Flut, die das Land zu überrollen drohte. Gut, bin ich Rettungsschwimmer, dachte er, auf mich ist Verlass, ich hole jeden heraus.
    Er schob Hedwigs Schenkel von seinem Bauch, er roch den Duft seines Spermas. Der war sich gleich geblieben, seit er zwölf war, eine Konstante in jungen und alten Jahren. Immerhin etwas, worauf Verlass war.
    Der fremde Schenkel schien ein Teil von ihm selbst zu sein, träge und eigensinnig verharrend. Fremd wie der Geruch im Hemdsärmel gestern Abend und doch unglaublich intim. Er war nicht abzuweisen, nicht wegzuschieben ins Pfefferland, er würde immer da neben ihm auf dem weißen Laken liegen.
    Er erhob sich und öffnete das Fenster. Die Windstille draußen war fast beängstigend. Kein Blatt der Pappel bewegte sich, kein Vogel pfiff. Am Himmel hing eine gelbe Wolke, bauschig aufgetürmt, aus dem Nichts geboren, um Pharao samt seinen Reitern zu ersäufen. Drüben über dem Jura lag es schwarz. Es zuckte darin, es wetterleuchtete darüber. Dann fuhr ein Blitz hindurch, und nach einer Weile war das Rollen des fernen Donners zu hören.
    Er holte das blaue Heft des Freddy Lerch aus der Tasche, ging hinaus und setzte sich auf die Bank

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