Hunkelers zweiter Fall - Flattermann
die Urne empor (eine Pissschüssel mit Deckel, Tä-dä-dä), verdrehte die Augen ein bisschen, übergab dann die Schüssel zwei Totengräbern, die sie am Riemen ins Loch hinunterließen. Ein letztes Wort des Pfarrers, möge er Heil und Gnade finden, er ruhe sanft.
Jetzt traten alle der Reihe nach an die Grube, schauten neugierig hinein, erhielten von den Totengräbern je eine Rose und warfen sie hinunter. Als Erster der Fensterlerch, nach ihm die übrige Familie. Dann wusste niemand recht, wer jetzt dran war, es wurde peinlich.
Endlich bewegte sich eine der Damen, die feine, zarte, auf das Grab zu, noch immer das Taschentuch vor dem Gesicht. Sie schien einen Moment lang zu schwanken, nahm das Taschentuch weg und machte sich entschlossen an ihrer linken Hand zu schaffen. Das war seltsam, alle schauten hin, auch der Pfarrer. Die Dame zerrte etwas vom Ringfinger der linken Hand. Endlich hatte sie, was sie haben wollte. »Salut, Freddy«, sagte sie, laut und deutlich, eindeutig französisch. Sie warf einen Ring ins Loch hinunter, man hörte ihn auf die Urne klirren. Der Fensterlerch trat vor, zögernd, erstaunt. »Mais c’est Josette«, sagte er. Sie hob den Blick, und alle sahen ihre Augen. Wie Bernstein, tatsächlich. Sie sagte kein Wort, drehte sich weg und verschwand in der schnurgeraden Allee.
Madörin nickte Haller kurz zu. Der zündete sich umständlich die Pfeife an, sonderte sich unauffällig von der Trauergruppe ab, so dass alle hinschauten, ging dann Richtung Allee der Dame nach, frei und fromm Rauchwolken ausstoßend.
Hunkeler trat als Vorletzter ans Loch, die Lady Denise als Letzte. Er stand dicht neben ihr, als sie die Rose hinunterwarf. Sie hob den Blick. Schmale, helle Augen, ein Hauch von Sommersprossen. »Schwein«, sagte sie, fest und laut. Dann ging sie weg Richtung Ausgang.
Auf dem Weg zum Restaurant, in dem ein bescheidenes Leichenmahl stattfinden sollte – alle waren geladen, auch die Nichtangehörigen, die Lahmen und Blinden –, trat Madörin auf ihn zu.
»Was hat sie gesagt?«, fragte er konspirativ.
»Salut, Freddy.«
»Nein, die andere, die mit dem roten Haar.«
»Sie hat ›Schwein‹ gesagt.«
Wieder der Hundeblick, der eklige, dumme.
»Und warum?«
»Was weiß ich?«, flüsterte Hunkeler. »Vielleicht, weil wir Polizisten sind.«
»Kennt sie dich?«
»Keine Ahnung.« Er schaute in die Alleebäume hinauf. Grünes Laub, frisch und saftig, Tä-dä-dä.
»Und das lässt du dir gefallen?« Madörin war wirklich böse, denn ihm konnte keiner kommen mit ›Bulle‹, ›Tschugger‹ oder ›Nazischwein‹.
»Ich werde es überleben.«
»Was ist das überhaupt für eine?«, insistierte Madörin, »warum war die da?«
Hunkeler zuckte mit den Achseln. Was wusste denn er? War das etwa sein Fall oder der Fall von Madörin?
Lüdi hatte zugehört. »Die ist Serviertochter im Todtnauerhof«, flüsterte er, ohne Madörin anzuschauen. »Das war Freddy Lerchs Stammbeiz.«
»Aha.« Madörin nickte vielsagend. Immerhin etwas. Aber eben nicht viel. »Trotzdem«, bohrte er weiter, stur wie ein Dackel, »ich verstehe nicht, warum du dich ›Schwein‹ titulieren lässt.«
Hunkeler blieb stehen. Wer war hier eigentlich der Chef, er oder ein anderer? »Was meinst du eigentlich, wer wir sind? Uns riecht man doch auf hundert Meter gegen den Wind an, dass wir Polizisten sind. Die hat das doch sofort gemerkt.«
»Ach diese Scheiße«, sagte Madörin beleidigt. »Wie soll man eigentlich noch arbeiten können, wenn man die ganze Welt gegen sich hat?«
Es gab Schinken mit Kartoffelsalat, dazu roten Maispracher. Hunkeler bestellte Kaffee, er wollte nicht essen. Sie saßen zu dritt, wie die Kameraden vom Kegelklub oder von den Wasserfahrern.
Nach einer Viertelstunde tauchte Haller auf. »Sie fährt einen großen Amerikanerwagen«, meldete er, »mit einer Nummer des Kantons Jura.«
»Ist das alles?«, giftete Madörin. »Eine Serviertochter, eine Liebesromanze mit Amerikanerschlitten. Was soll ich damit?«
Er schaute böse zu den beiden molligen Damen hinüber, die am Nebentisch Schinken mit Kartoffelsalat aßen, einträchtig vereint.
»Was sind denn das für zwei Witwen?«
»Ich habe mit ihnen geredet«, meldete Lüdi, »auf dem Weg vom Grab hierher. Sie haben Freddy Lerch offenbar gut gekannt, sie schwärmen beide von ihm.« Er senkte die Stimme, bedeutungsvoll. »Ich glaube, das sind seine Freundinnen. Erotisch, meine ich.« Er zwinkerte vieldeutig, grinste und schob sich eine Ladung Schinken
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