Hunkelers zweiter Fall - Flattermann
Kinder. Und wenn der alte Freddy in den Hafen fährt, rennen alle herbei und schreien. Eine schöne Vorstellung.
In der letzten Zeit habe ich mich eines Großneffen angenommen. Ich widme ihm einen Teil meines Lebens. Er stammt vom Sohn jenes Fensterlerchs, der die Firma in Aesch besitzt, und heißt Silvan. Ein munterer Bursche, frisch und frech. Er trägt einen Ring im linken Ohr wie die Zigeuner. Das gefällt mir. Er ist mit sechzehn von zu Hause ausgezogen, weil er es nicht mehr ausgehalten hat daheim, was ich gut verstand. Ich habe ihn in meiner Wohnung einlogiert und habe ihm eine Lehrstelle als Koch besorgt. Schon bald hat er sich zu meiner Freude auf die eigenen Beine gestellt und ein eigenes Logis gemietet, unweit von mir. Die Lehrabschlussprüfung hat er mit der Note Gut bestanden.
Er ist wie ein Sohn zu mir. Oder wie ein Enkel. Als ich vor einiger Zeit mein Testament geschrieben habe, habe ich ihn zum Haupterben meines bescheidenen Vermögens gemacht. So werde ich, wenn es einmal so weit ist, leichter sterben, wenn ich weiß, dass mein Geld in rechte Hände kommt.
Wenn er nur nicht so verrückte Ideen hätte! Es hat ihm jemand einen Floh ins Ohr gesetzt, einer seiner unsauberen Freunde. Er will ein teures Auto kaufen und damit in den Orient fahren, um es dort mit Gewinn zu verkaufen. Ich soll ihm das Geld vorstrecken. Ich zweifle, ob das gutgeht. Denn der Orient ist nicht mehr wie früher. Silvan ist zu jung und zu naiv, um die Gefahren zu bestehen.
Aber ich fürchte, dass ich es ihm nicht werde abschlagen können. Weil ich selber auch auf Abenteuer aus war. Es geht ja wirklich niemanden etwas an, was ich mit meinem Geld mache. Verhungern werde ich nicht, und mitnehmen kann ich es auch nicht.
Er hat eine nette Freundin, die Denise heißt. Eine aparte Person. Ganz mager, es ist fast nichts an ihr. Aber so sind eben viele junge Frauen heutzutage. Sie gefällt mir gut, wir necken uns oft. Sie serviert im Todtnauerhof vorn, wo ich häufig verkehre. Es sitzen auch andere junge Leute dort, die mich jedes Mal, wenn ich hereinkomme, freundlich grüßen. Manchmal fragen sie mich, wie es war auf See, und ich erzähle dies und das. So bin ich nicht oft allein.
Zu den Wasserfahrern am Stammtisch setze ich mich selten. Es sind flotte Kerle. Ich mag sie. Aber sie haben eben ihr Leben lang nichts anderes gesehen als den Rhein.
So gehen die Jahre ins Land, und mein Leben neigt sich dem Ende entgegen!«
Am andern Morgen hatte sich der Rhein wieder beruhigt. Er floss zwar immer noch bräunlich, aber er hatte die Stege des Badehauses freigegeben und feinen Lehmsand darauf zurückgelassen, rein und unberührt, ein Stück Sahara mitten in Basel. Die Enten waren wieder da, die Mutter und drei kleine, die übrigen hatte wohl die Flut geholt.
Die Wassertemperatur betrug 17 Grad, die Lufttemperatur 23 Grad, die Wasserqualität war gut. Schau an, dachte Hunkeler, der Regen hat den Rhein gewaschen, das reinigende Gewitter, die sühnende Flut.
Frau Lang beugte sich aus dem Kiosk und rief: »Kommen Sie einmal her, Herr Hunkeler, bitte.«
Er trat zu ihr. Sie streckte ihm ein Foto entgegen, vergrößert auf A4-Format. Das Bild zeigte den auf den Hinterbeinen stehenden weißen Pudel, der nach einem Wurstzipfel schnappte.
»Drehen Sie es um«, sagte sie, sie weinte fast. »Lesen Sie, was hintendrauf steht. So eine Gemeinheit.«
Er las, was mit rotem Filzstift hinten draufgeschrieben war. »Dies ist eine Kopie. Das Original befindet sich im Besitz eines Gründungsmitglieds des Vereins Rheinbad St. Johann. Weitere Kopien gehen an die anderen Gründungsmitglieder. Hunde sind verboten. Das wird Folgen haben.«
Hunkeler gab ihr das Foto zurück. »Lauter Hilfspolizisten«, murmelte er.
»Ich arbeite mich zu Tode, halb gratis. Und das ist der Dank. Das ist so gemein, so gemein.«
Tränen traten aus ihren Augen, die zarte Frau Lang war verletzt.
»Hören Sie einmal, ich verrate Ihnen ein Geheimnis.« Er beugte sich vor, flüsterte ihr ins Ohr. »Wandern Sie aus. Die ändern sich nämlich nie. Gehen Sie in die Karibik, fahren Sie zur See. Dort lachen die Leute. Und Sie können mitlachen.«
Er blinzelte, grinste sie an. Und Frau Lang blinzelte zurück.
»Immer der gleiche Witzbold wie früher«, flüsterte sie, »immer der Alte. Und noch immer jung.«
Er zeigte auf seinen Bauch, den dicken, birnenförmigen. »Das nennen Sie jung?«
Er ging hinaus, wanderte der Mittleren Brücke entgegen. Drei Burschen standen dort oben, mit
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