Hure in Gold ROTE LATERNE Band 12 (Rote Laterne Liebesroman) (German Edition)
Taxifahrer.
»Fahren Sie mich zuerst zur Zentralbank und dann zum Airport, bitte.«
»Wie Sie wünschen, Miss.«
Auf der Bank löste Carmen ihr Konto auf. Knapp einhunderttausend Dollar waren ihr geblieben. Dieses Geld hatte sie sich mit den Schecks erschwindelt, denn ihr eigenes Kapital war nahezu aufgebracht gewesen. Sie hatte sich Kleider und Schmuck gekauft, hatte sich geleistet und gegönnt, was ihr auf Anhieb gefallen hatte. Sie war froh, dieses Geld zu haben. In Santa Margarita würde es eine Weile reichen. Was dann geschah, stand noch in den Sternen. Aber zunächst einmal wurde Carmen von einem Gefühl der Unruhe und einer rastlosen Sehnsucht nach Geborgenheit getrieben. Dieses Gefühl war im Augenblick stärker als die Gier nach Geld und Reichtum.
Dann saß Carmen im Flugzeug. Sie dachte an jene Zeit, als sie das Land verlassen hatte. Wie anders war damals alles gewesen! Voller Hoffnungen, Träume und geheimer Sehnsüchte war sie gewesen. Ein Teil davon hatte sich erfüllt, aber eben nur ein Teil. Carmens Herz war über alldem leer geblieben. Liebe hatte sie nirgendwo gewinnen können, und zum ersten Mal drängte sich ihr der Gedanke auf, dass Geld wohl doch nicht alles Seligmachende war, was es auf dieser Welt gab.
Carmen Gonzales fasste den Entschluss, ihr Leben von Grund auf zu ändern. Dann gingen ihre Gedanken zu Ricardo. Ob er wohl auf sie gewartet hätte, wie damals versprochen? Ob er noch frei war und ob seine Liebe ihr noch immer galt?
Carmen Gonzales ist wieder da!
Diese Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch das kleine mexikanische Dorf. Von Haus zu Haus verbreitete sich diese Neuigkeit in Windeseile, denn Carmen war kurz zuvor mit einem Taxi die Dorfstraße hinuntergefahren. Sie genoss es, in ihrer Eleganz von den armen Leuten bestaunt zu werden.
»Halten Sie bitte dort an der Ecke«, gebot sie dem Fahrer. »Das letzte Stück möchte ich gern zu Fuß gehen.«
»Und ihre Koffer?«,
»Stellen Sie sie einfach hier an den Straßenrand«, sagte Carmen.
»Also, wissen Sie, Se ñorita«, meinte der Taxifahrer, »ich verstehe nicht, was eine so elegante Señorita wie Sie in einem Nest wie diesem tut.«
»Ich - ich muss einen Besuch machen«, sagte Carmen. Um keinen Preis der Welt hätte sie zugegeben, dass sie aus Santa Margarita stammte. Dies ließ ihr Stolz einfach nicht zu.
Carmen entlohnte den Fahrer und wartete, bis das Taxi hinter einer Staubwolke verschwunden war. Dann nahm sie eine große Sonnenbrille aus ihrer Handtasche und ihre beiden Koffer in die Hände und ging den Weg hinunter, den sie als Kind so oft gegangen war. Auf diesen wenigen Metern kamen die alten Erinnerungen zurück.
Mama, dachte Carmen wehmütig. Wie es ihr wohl gehen mag? Das Geld hat sie zurückgeschickt, und ich kann sie irgendwie auch verstehen.
Schließlich erreichte sie das kleine, halbverfallene Haus, in dem sie ihre ärmliche, aber doch nicht unglückliche Jugend verbracht hatte. Sie setzte ihre Koffer im Vorgarten neben den beiden großen Agaven ab, dann trat sie auf das Haus zu. Die ehedem grüne Holztür war seit Langem nicht mehr gestrichen, die alte Farbe bereits abgeblättert. Beim Näherkommen bemerkte Carmen, dass die Tür einen Spaltbreit offenstand. Unruhe erfasste Carmen. Das Häuschen wirkte so sonderbar leer, kalt und tot in der sengenden Sonne.
Vorsichtig stieß sie mit den Fingerspitzen an die Tür. Sie öffnete sich taumelnd und kippte dann schräg aus ihren Angeln.
»Mama?«, rief Carmen ängstlich und wohl auch ein wenig erschrocken. »Mama, wo bist du?«
Sie trat ein und nahm die Sonnenbrille ab. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihre Augen sich an das diffuse Dämmerlicht gewöhnt hatten, denn die Läden waren geschlossen. Es roch muffig; überall gab es Spinnweben. In der Ecke dieses Raumes lag eine angemoderte Matratze.
»Mama!«, rief Carmen noch einmal. Sie warf einen Blick zur Treppe, die an einigen Stellen eingebrochen war. Nun begriff Carmen. Dieses Haus wurde schon seit längerer Zeit nicht mehr bewohnt. Es war dem Verfall preisgegeben.
»Dios mio«, flüsterte Carmen. »Mama, wo bist du?«
»Du brauchst nicht auf sie zu warten«, sagte da eine Stimme hinter Carmen. Eine Stimme, die sie aus Tausenden erkannt hätte. Sie blieb wie erstarrt stehen. Dann wandte sie sich langsam um. Sie bemerkte den Schatten eines hochgewachsenen Mannes unter der sonnenweißen Tür - Ricardo.
»Ricardo«, flüsterte sie hilflos und verloren wie ein Kind, dem man
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