Hurra wir kapitulieren!
Bundesregierung war »not amused« und bestellte den iranischen Geschäftsträger in Berlin ins Außenamt ein, wo ihm eine Protestnote überreicht wurde. Außenpolitiker von Union und SPD forderten harte Reaktionen auf die Drohungen des iranischen Präsidenten. Friedbert Pflüger erklärte: »Ein Land, das sagt, es will ein anderes Land vernichten, kann kein Partner der Europäischen Union und Deutschlands sein.« Auch Gernot Erler forderte im Namen der SPD ein »härteres Vorgehen« gegen den Iran; der diplomatische Protest sei nur der Anfang.
Nur einer sprang dem bedrängten iranischen Präsidenten zur Seite: der in solchen Fällen stets einsatzbereite Direktor des Hamburger Orient-Instituts Udo Steinbach. Er meinte, man dürfe die Worte des Iraners nicht zu ernst nehmen, er wäre außenpolitisch noch »völlig unerfahren«. - Auch Bahman Nirumand, der eben noch einen Wahlsieg Rafsandschanis vorhergesagt hatte, konnte sich Ahmadinedschads Ausfälle nur mit der mangelnden politischen Erfahrung des 49 -jährigen Fachmanns für Verkehrsplanung erklären: »Ich nehme an, die Rivalen Ahmadinedschads haben ihn aufs Glatteis geführt.« Das Problem werde sich von selbst erledigen. »Das Regime wird in zehn Jahren verschwunden sein.« Es fehlte bloß der Hinweis, auch das Dritte Reich habe sich in nur zwölf Jahren erledigt. Wenn Experten ihre Worte wiederkäuen müssten, hätten Steinbach und Nirumand ständig schwere Verdauungsprobleme.
Wie »unerfahren« Ahmadinedschad auch sein mag, sein politischer Instinkt funktioniert. Er hat mit bewundernswerter Zielgenauigkeit genau die Stelle gefunden, an der die Europäer am empfindlichsten sind: ihre eigene Geschichte.
Ahmadinedschad forderte die Verlegung Israels nach Europa. Man müsse das Problem an seiner historischen Wurzel packen, Deutschland und Österreich sollten »eine, zwei oder egal wie viele ihrer Provinzen« abgeben, damit ein jüdischer Staat dort entstehen könne, wo die Juden hingehören. Und wieder reagierten die europäischen Politiker wie aufgescheuchte Hühner, wenn sich ein Wolf ihrem Gehege nähert. Frankreichs Staatspräsident zeigte sich »empört«, der deutsche Außenminister sagte, solche Äußerungen machten Verhandlungen über das iranische Atomprogramm »nicht einfacher«. Der österreichische Kanzler sprach von einer »ungeheuerlichen Entgleisung«, der britische Außenminister wiederholte die Standardformel: »Vollkommen inakzeptabel.« Derweil saß der iranische Präsident in seiner bescheiden möblierten Residenz und freute sich wie ein Kind, das einen Knallfrosch in der Wohnküche gezündet hatte. Er wusste, von diesem Europa hatte er nichts zu befürchten.
Denn Europa, das heldenhafte alte Europa, das zweimal im Laufe des letzten Jahrhunderts aus dem Dreck gerettet werden musste, in den es sich selbst geritten hatte, Europa war inzwischen aus einer kurzen Schockstarre aufgewacht und im Begriff, sich mit der neuen Situation zu arrangieren. Alle sprachen von der Notwendigkeit von Maßnahmen, Schritten und Sanktionen, warnten aber vor übereilten Entscheidungen, die sich als kontraproduktiv erweisen könnten und unternahmen nichts. Langsam rückte der Iran als Gefahrenquelle in den Hintergrund und Israel nach vorne. »Nach der jüngsten Propaganda-Attacke wächst die Gefahr eines israelischen Militärschlags«, hieß es in der »taz«. Während die Iraner nur mal kurz auf die Pauke gehauen hatten, legten die Israelis schon den Finger an den Abzug. Ein Hinweis der Israelis auf das eigene militärische Potenzial und die Versicherung: »Es wird keine zweite Endlösung geben« veranlassten »Focus online« zu der Überschrift: »Israel droht Iran mit Selbstverteidigung«. Bahman Nirumand kommentierte: »Gäbe es den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad nicht, müssten ihn Israel und die USA erfinden. Denn wer könnte besser als er die Welt psychologisch auf einen möglichen militärischen Angriff auf den Iran vorbereiten?« Und er orakelte, dass es möglicherweise doch nicht zehn Jahre dauern würde, bis sich das Problem erledigt habe: »Die Konservativen... haben längst gemerkt, dass der Mann untragbar ist. Sie lassen ihn ins Messer laufen. Gerüchte besagen, dass sie bereits seinen Sturz vorbereiten.«
Wer über ein so brisantes Geheimwissen wie Nirumand verfügt, der legt sich jede Wirklichkeit so zurecht, wie es ihm passt. Alle Kommentatoren taten so, als wäre über Nacht eine neue, völlig ungewohnte Situation eingetreten. Dabei hatte
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