Hutch 02 - Die Sanduhr Gottes
auf die Instrumente. Sie war voll und ganz auf die Kursanweisungen von der Wendy und den Satelliten angewiesen. Die Dinge wurden noch komplizierter, als sie für beinahe sechs Minuten den Kontakt zu den Schiffen im Orbit verloren.
»Lokale Interferenzen«, sagte ihre Kontaktperson, als das System wieder arbeitete. »Die Sturmfronten machen den Kommunikationssystemen allmählich das Leben schwer.«
Augie Canyon rief sie ebenfalls, stellte ein paar Fragen und erinnerte sie daran, dass viele Leute für ihre Rückkehr beteten.
»Glaubt hier jemand an ein Leben nach dem Tod?«, fragte Kellie.
»Ich schon«, sagte MacAllister vorsichtig.
»Sie?« Nightingale musste ein Lächeln unterdrücken. »Sie haben Karriere gemacht, indem Sie Moralisten und Reformer angegriffen haben, Mac. Und sogar ganze Bevölkerungsgruppen, von denen Sie meinten, sie würden ihre Prediger zu ernst nehmen. Was nicht viel mehr heißt, als dass diese Leute den Religionsvertretern ein Existenzrecht eingeräumt haben. Was wird das hier? Ein Gespräch auf dem Totenbett?«
»Randy.« MacAllisters Miene trotzte allen Anschuldigungen. »Ich bin schockiert und entsetzt, dass Sie so von mir denken. Ich habe nur die Leute angegriffen, die vorgegeben haben, auf alles eine Antwort zu kennen, und zwar aus dem überaus gewichtigen Grund, dass sie entweder schwachsinnig oder Scharlatane sind. Aber das heißt nicht, dass ich die Möglichkeit einer spirituellen Dimension unseres Daseins ausschließe.«
»Tatsächlich? Eine spirituelle Dimension?« Nightingale zog die Brauen hoch. »Sir, was haben Sie mit Gregory MacAllister gemacht?«
»Einen Augenblick mal«, sagte Kellie. »Das ist eine ziemlich radikale Einstellung. Greifen Sie jeden an, der einem etablierten Glauben angehört? Was ist beispielsweise mit Bruder Dominic?«
Ja, dachte Hutch. Bruder Dominic war eine Art moderner Franziskus, der vierzig Jahre bei den Armen in Ostasien gelebt und gearbeitet hatte. »Ein guter Mann«, gestand MacAllister. »Das gebe ich zu. Dennoch behaupte ich, er ist ein Gefangener eines Glaubenssystems, das seinen Geist verschlossen hält.«
»Sie sprechen von der römisch-katholischen Kirche?«
»Ich spreche von jedem System, das reihenweise Lehrsätze verbreitet, die als Gottesworte, als unumstößliche Wahrheiten von ganz oben aufgefasst werden sollen. Die Anhänger dieser Systeme sind so in ihre Überzeugungen versunken, dass sie die wahrhaft wichtigen Dinge übersehen. Was weiß Bruder Dominic über Quantenmechanik?«
»Was wissen Sie über Quantenmechanik?«, konterte Hutch.
»Nicht viel, zugegeben. Aber ich bezeichne mich auch nicht als gottesfürchtig.«
»Ich komme nicht ganz mit«, sagte Nightingale. »Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«
»Meinen Sie nicht auch, dass jeder, der ein echtes Interesse am Schöpfer aufbringt, so es denn einen Schöpfer gibt, auch einen Blick auf sein Werk würde werfen wollen, Randy?« Er bedachte Hutch mit einem wohlwollenden Lächeln. »Oder ihr Werk? Ist es nicht durchaus vorstellbar, dass der Schöpfer ein wenig verstimmt sein könnte, wenn jemand sein Leben damit verbringt, die Kirchenarchitektur zu bewundern, den Sternen aber keinerlei Beachtung schenkt?
Menschen, die sich ihre Religion auf die Fahnen geschrieben haben, reden viel über Sonntagsschulen, Bibellesungen und gute Taten. Und ich nehme an, das schadet nicht. Aber hätte ich mir die Mühe gemacht, all das aufzubauen …« Er hob die Hände, als wollte er in die Unendlichkeit deuten, »… und niemand würde darauf achten, niemanden würde interessieren, wie die Welt funktioniert, dann wäre ich vermutlich verärgert.«
»Ich bin froh, dass Sie nicht dahinter stecken«, kommentierte Kellie.
MacAllister war ganz ihrer Meinung. »Ich würde mich bestimmt deutlicher einmischen.«
»Also«, sagte Nightingale, der immer noch nicht von dem Thema lassen wollte, »verteidigt der Atheist die Theologie.«
MacAllister zuckte mit den Schultern. »Nicht die Theologie«, widersprach er. »Den Glauben.«
Die Konversation erinnerte Hutch daran, welche Furcht sie empfand, obwohl das eigentlich vollkommen unnötig war. Sie fragte sich besorgt, wie sie reagieren würde, sollte der Rettungsplan fehlschlagen.
Nightingale musterte sie, und sein düsterer Blick schien bis in ihre Seele vorzudringen. Dann streckte er die Hand aus und berührte ihren Unterarm. »Es ist okay«, sagte er. »Was immer auch passiert, wir stecken gemeinsam drin.«
NOTIZEN VON RANDALL
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