Hutch 02 - Die Sanduhr Gottes
Türen gegeben hatte, waren sie nun fort. Der Eingang und der dahinter liegende Raum waren mit Schnee und Erde bedeckt. Zu beiden Seiten der Schwelle wuchsen widerstandsfähige, stachelige Sträucher.
Nightingale übernahm die Führung. Seiner Haltung ließ sich entnehmen, dass er es für das Beste hielt voranzugehen, sollte ihnen in irgendeiner Weise Gefahr drohen. In dieser Umgebung, mit derart eingeschränkter Sicht, würde es nach Hutchs Ansicht gewiss nicht viel ausmachen, wer wo stand. Außerdem hielt sie es für eher unwahrscheinlich, dass sich in dieser Höhe größere Raubtiere herumtrieben, da sie hier vermutlich keine Beute finden würden. Und sie nahm an, dass Nightingale ähnliche Schlüsse gezogen hatte.
Durch den Eingang betraten sie einen großzügigen Korridor. Die Wände waren eben und in jeder Hinsicht kahl, die Decke angenehm hoch. Sie schalteten die Lampen ein, in der Hoffnung, ein wenig von der Düsternis vertreiben zu können, aber der Nebel reflektierte das Licht, also schalteten sie sie wieder aus.
Kleine Tiere huschten vor ihnen davon. Sie waren schwer zu erkennen, aber Hutch hörte das Flattern von Flügeln und sah etwas, das aussah wie ein weißer Schimpanse. Eine vielgliedrige Kreatur mit einem Haufen Beinen flitzte in einen abzweigenden Gang.
Zu beiden Seiten des Korridors befanden sich Räume, einige davon mit Fenstern, durch die ein schwacher Lichtschein hereindrang. Die Räume waren recht groß. Die meisten hätten bequem Gruppen von fünfzehn oder mehr Personen aufnehmen können. Sie enthielten keinerlei Mobiliar, aber lange, verkleidete Platten an der Decke, die möglicherweise der künstlichen Beleuchtung gedient hatten.
»Scheint schon sehr lange hier zu stehen«, erzählte sie Marcel, während sie ihm ein Bild schickte.
Die einzelnen Gänge und Räume waren gänzlich frei von besonderen Merkmalen.
Im Gegensatz zu dem Turm, der zeitlos erschien, als hätten seine Erbauer ihn für die Ewigkeit geplant, vermittelte dieses Bauwerk trotz des Granits den Eindruck einer provisorischen Einrichtung, die nur für einen begrenzten Zeitraum hatte Bestand haben sollen.
Sie erforschten einen der abzweigenden Gänge, passierten weitere Türöffnungen und kahle Räume unterschiedlicher Größe, in denen sich nichts außer hereingewehtem Laub und Erde befand. Die meisten Türen waren verschwunden. Ein paar standen offen, andere waren fest verschlossen. Türknäufe oder Klinken waren nicht zu sehen. »Elektronisch«, befand Nightingale, während er eine der Türen untersuchte. »Sieht aus wie ein Sensor.«
Sie durchquerten einen Raum, passierten eine Türöffnung auf der gegenüberliegenden Seite und fanden sich auf einem weiteren Korridor wieder. Eine der Mauern war von Fenstern gesäumt, doch welches transparente Material sie auch einst ausgefüllt haben mochte, es war nicht mehr da, und der Wind säuselte ungehindert durch das Gebäude.
Vor ihnen befand sich eine Rampe.
Zögernd nutzten sie ihre Laser, um die Wände zu markieren, damit sie den Rückweg leichter finden konnten.
Einen Kanal zu Kellie und Marcel hielten sie dauerhaft geöffnet, um ihre Eindrücke weiterzuvermitteln, ihre Vermutung, dass dieses Bauwerk teils Bürogebäude, teils Flaniermeile, teils eine Art Bahnhof darstellte. Hier und dort gab es weiträumige Aufenthaltsbereiche. »Scheint für eine ziemlich große Anzahl von Personen gedacht zu sein.«
»Eine große Anzahl?«
»Breite Korridore.«
»Wie viele Leute fahren wohl mit einem Fahrstuhl in den Orbit?«
»Keine Ahnung.«
Es gab Ablagefächer und Nischen, doch sämtliche Oberflächen waren von einer dicken Staubschicht bedeckt, Anhäufungen aus Jahrhunderten, aber als Hutch sich die Zeit nahm, eine Fläche sauber zu wischen, sah sie aus, als wäre sie gerade erst eingebaut worden. Um was für ein Material es sich auch handeln mochte, es hatte sich jeglichem Alterungsprozess wirksam widersetzt.
Sie durchquerten einen weiteren Korridor mit etlichen Fenstern, die sich nach draußen öffneten.
»Hey«, rief Nightingale und sank auf ein Knie. »Sehen Sie sich das an.«
Ein Zeichen. Auf einem Wandgestell. Einem niedrigen Wandgestell, das ihr gerade bis zu den Hüften reichte. Es enthielt mehrere Reihen von Symbolen. Die Symbole waren verblasst, ergraut, aber nicht unkenntlich. Hutch achtete darauf, sie auf dem Bildmaterial festzuhalten, nur um gleich darauf entzückt festzustellen, dass sie die Symbole von dem Gestell entfernen konnte. Die Symbole befanden
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