Hutch 02 - Die Sanduhr Gottes
letzte Stunde.
Natürlich besaß Hutch offiziell keinen wissenschaftlichen Ehrgeiz. Und sie hatte erklärt, dass sie vorhätte, frühzeitig zu verschwinden. Warum sollte er sie nicht beim Wort nehmen?
Auf der Evening Star hatte sich Gregory MacAllister gerade für den Rest des Abends verabschiedet, den Navigator verlassen und sich auf den Weg zu seinem Quartier begeben, als eine junge Frau auf ihn zukam und ihn fragte, ob sie ihn kurz sprechen dürfe. Er erkannte sie als eine der Anwesenden im Bistro wieder, die sich während der abendlichen Diskussion über die postmoderne Bewegung im Russischen Theater dort aufgehalten hatten. Sie hatte irgendwo im Hintergrund gesessen und selbst nichts zum Thema beigetragen, wenngleich sie die ganze Zeit aufmerksam zugehört hatte.
Dass die Frau ausnehmend hübsch war, reichte nicht, das Eis bei ihm zu brechen. MacAllister hatte nie Probleme gehabt, schöne Frauen um sich zu scharen. Was ihn aber beeindrucken konnte, war die Konzentrationsfähigkeit anderer Menschen, denn selbige wies stets auf eine gewisse Begabung hin.
Er brachte Geld und gesellschaftlicher Stellung wenig Achtung entgegen. Auch ließ er sich nicht durch Charme oder den Fundus affektierten Gehabes, der allgemein unter der Bezeichnung Charisma bekannt war, beeindrucken. Während seiner über sechzig Lebensjahre hatte er erkannt, dass sich unter den Patriziern ebenso viele Flegel fanden wie Ignoranten auf tieferen Ebenen des sozialen Spektrums. Außerdem gefiel ihm der Gedanke, dass nur Intellekt imstande war, seine Aufmerksamkeit zu fesseln, wenngleich er dazu neigte, den Intellekt anderer in direkter Korrelation zu ihrer Zustimmung zu MacAllisters Ansichten zu bewerten.
»Mein Name ist Casey Hayes«, sagte sie, fummelte in ihrer Jackentasche herum und brachte einen Presseausweis zum Vorschein. »Ich komme von Interweb.«
MacAllister gestattete seinen Augen, sich für einen Moment bedeutungsvoll zu schließen. Eine Reporterin.
Sie war groß, hatte die Züge eines Models und modisch zurückgekämmtes, üppiges braunes Haar. Gekleidet war sie in legere graue Hosen und eine dunkle Jacke mit einem diamantenen Kragenknopf, was darauf schließen ließ, es mit keiner gewöhnlichen Journalistin zu tun zu haben.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte er unverbindlich.
»Mr. MacAllister, sind Ihnen die Berichte aus dem Maleiva-System bekannt?«
»Bezüglich der Ruinen? Ja. Ich habe mich selbstverständlich auf dem Laufenden gehalten.«
Er hatte seine Schritte verlangsamt, war aber nicht stehen geblieben, also schloss sie sich ihm an. »Mir kam der Gedanke«, sagte sie, »dass das genau die Art von Neuigkeit ist, die Sie interessieren dürfte. Ein einsamer Turm an einem abgelegenen Ort.«
»Tatsächlich?« Journalisten sahen in ihm stets eine potentielle Story, und sie waren immer bereit, einen den Umständen angemessenen Grund zu erfinden, um ihn zum Sprechen zu bringen. Allerdings wussten sie nie, ob MacAllister vielleicht etwas Frevelhaftes von sich geben und so das Zartgefühl der Massen in Mitleidenschaft ziehen oder eine Menge Leute in Bausch und Bogen beleidigen würde. Wie bei seiner Bemerkung anlässlich einer Preisverleihung in Notre Dame im vergangenen Jahr, als er behauptet hatte, dass jeder, der ernsthaft an Toleranz gegenüber anderen Menschen interessiert sei, zunächst einmal jegliche religiöse Zugehörigkeit aufgeben müsse. Als er daraufhin von einem anderen Gast angegriffen worden war, hatte er sich gänzlich unschuldig erkundigt, ob irgendjemand der Anwesenden ihm auch nur einen Menschen nennen könne, der aus religiösen Gründen von einem Atheisten in den Tod geschickt oder aus seiner Heimat vertrieben worden sei. Hätte der andere über genügend Geistesgegenwart und Verstand verfügt, dachte MacAllister, dann hätte er gewiss die Frage aufgeworfen, wie sich unter diesen Umständen die weithin berüchtigte Intoleranz des bekannten Herausgebers erklären ließe.
Aber Gott sei Dank waren derartige Leute nie besonders schnell von Begriff.
»Ja«, fuhr sie fort. »Ich zähle mich schon seit dem College zu ihren treuen Lesern.« Dann erging sie sich in einer kurzen Dissertation über die Herrlichkeit seiner Werke, und er war geneigt, sie weiter anzuhören, aber es war schon spät, und er war müde, also ermutigte er sie, zum Punkt zu kommen.
»Auf Maleiva III«, sagte sie, »haben wir es mit einer untergegangenen Zivilisation zu tun. Möglicherweise gibt es sogar noch Überlebende.« Sie
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