Hybrid
müssen Sie wissen. Krebs. Der ewige Feind des Menschen, nicht wahr? So unendlich viele Formen bösartiger Wucherungen, die erst einzelne Organe befallen und dann den ganzen Körper mit Metastasen überschwemmen und auffressen.
Wie verhindert man das Wachstum ausgerechnet dieser Zellen, wie findet man einen Wirkstoff, ein Werkzeug, das nichts anderes schädigt und ganz selektiv nur das vernichtet, das uns schadet – obwohl auch das nichts anderes als lebendes, wachsendes, körpereigenes Gewebe ist? Ein Stein der Weisen ist bisher nicht gefunden, auch von uns nicht, und neben unzähligen Therapieformen, die in nur wenigen Fällen anschlagen, bleibt im Grunde der nachhaltigste Eingriff der, das befallene Gewebe – oder Organ – einfach zu entfernen.
Aber man kann nicht einfach Blasen, Hoden, Nieren, Lungen, Blut und alles, was von Krebs befallen wird, nach und nach entfernen, bis nur noch eine menschliche Hülle übrig ist. Die entsprechenden Teile müssten schließlich auch ersetzt werden. Dass dies nicht nur medizinisch problematisch ist, wissen Sie selbst. Es gibt schlicht nicht ausreichend Ersatzorgane auf der Welt, nicht einmal für diejenigen Menschen, die bereits monate- und jahrelang auf ein neues Herz hoffen. In Osteuropa, Afrika und Asien blüht der Schwarzmarkt mit illegalen Organen, die in Krankenhäusern Lebenden und Toten entfernt und unter der Hand weiterverkauft werden.
Also haben wir vor einigen Jahren einen Forschungszweig eröffnet, der sich mit der Frage beschäftigt, wie Ersatz für menschliche Organe geschaffen werden könnte. Sicher haben Sie von der Stammzellenforschung gehört. Sehr viel Genetik, sehr technisch und auch heute noch leider sehr theoretisch. Sie als Medizinerin, Frau Thomas, sind ja informiert, aber Herr Hiller weiß es vielleicht nicht: Zellen im Körper sind hochspezialisiert. Aber Stammzellen enthalten die Anlagen, sich zu jeder möglichen anderen Zelle zu entwickeln. Die Idee ist also, Stammzellen eines Patienten zu vervielfältigen und sie dazu zu bringen, sich zu exakt den Zellen und dem Zellenverbund, dem Organ, zu entwickeln, das man benötigt. So könnte man aus Ihren Stammzellen ein neues Herz züchten oder einen neuen Lungenflügel, und es bestünde aus Ihrem eigenen Gewebe, man könnte es Ihnen einpflanzen, und es würde sich nahtlos in Ihren Körper einfügen. Ist das nicht grandios?«
Wieder lächelte Luc breit, als freue er sich selbst darüber. Dann verzog er den Mund.
»Leider funktioniert es heute noch nicht. Und auch wenn Sie in der Presse einmal Bilder von Mäusen gesehen haben, denen menschliche Ohren aus dem Rücken wachsen, sind das eher universitäre Experimente und taugen bestenfalls für ein Kuriositätenkabinett. Von nutzbringender und vor allem im großen Maßstab umsetzungsfähiger Wissenschaft ist das so weit entfernt wie die Lupe in Ihrem Taschenmesser vom Hubble-Weltraumteleskop.«
Juli rutschte auf ihrem Stuhl nach vorn und wollte etwas einwenden, aber Luc hob eine Hand.
»Ja, ich weiß, ich strapaziere Ihre Geduld. Ich komme gleich zum Punkt. Also: Stammzellenforschung, um Organe zu züchten, ist vorläufig keine Alternative. Aber sie war uns nützlich, wenn auch auf eine andere Weise.
Wir haben nach neuen Wegen gesucht, Organe zu beschaffen, und dabei Forschungen aus den Achtzigerjahren aufgegriffen. Nun kommen wir zu dem Stichwort, auf das Sie warten, Frau Thomas: Xenotransplantation. Die Verpflanzung von tierischem Gewebe und tierischen Organen in den Menschen. Ohne Frage wären solche Organe viel leichter und in erheblich größerer Menge verfügbar. Schon heute züchten wir Millionen von Tieren als Rohstoffproduzenten. Wir benötigen sie für Mich, Eier, Fleisch, Wolle, Leder, unendlich viele Dinge – ohne Tiere in Massen zu halten und zu züchten, wäre unser Leben heute nicht denkbar. Also statt sie zu essen, warum nicht ihre Organe für andere Zwecke verwenden? Dieser prinzipielle Gedanke dürfte für niemanden abwegig sein. Widersprechen Sie mir, wenn Sie denken, dass die Verwertung von Tieren als solches etwas Unnatürliches wäre.«
Tom hörte dem Mann zu, der sein Programm wie ein perfekt geschulter Verkäufer abspulte. Trotz seines gepflegten Aussehens und seiner flüssigen Ausdrucksweise umgab ihn eine Aura, wie er sie von manchen Cholerikern kannte. Bei aller vorgeblichen Freundlichkeit gärte etwas unter der Oberfläche, jederzeit bereit, hervorzubrechen. Diesem Mann zu widersprechen, würde nur so lange gut gehen,
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