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Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Madsack
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Transsylvanien gespielt hat?«
    Sie nickte. »So ungefähr. Er stammte von einem Fürstengeschlecht aus der Walachei ab, und sein Vater erhielt den Beinamen Vlad Dracul, weil er als Ritter des päpstlichen Drachenordens Osmanen und Ketzer bekämpfte.« Sie hielt einen Moment inne. »Und dann hat er noch erwähnt, dass Dracul im Rumänischen sowohl Drache wie auch Teufel bedeutet.«
    »Was hat dir Tomas sonst noch über ihn erzählt?«
    »Das, was man in jedem Geschichtsbuch nachlesen kann, vermute ich. Er war ein besonders schrecklicher Herrscher, der seine Feinde bei lebendigem Leib aufspießen ließ, er geriet als Knabe in Geiselhaft der Türken, und er hat den Sultan in Konstantinopel ein Leben lang bekämpft. Das war wohl ein ewiger Hickhack, mal siegten die Osmanen, mal eroberte Vlad Tepes sein Land zurück. Zum Schluss wurde er in einer Schlacht von den Türken getötet.«
    »Alles richtig aufgesagt«, seine Stimme klang grimmig. »Der See ist zwar heute ein Ausflugsziel, und viele Bukarester verbringen dort die Wochenenden, aber früher war die Klosterinsel ein verwunschener Ort und nur per Boot erreichbar. Die Mönche wollten dort in Abgeschiedenheit leben, und sie hüteten die Grabstätte des Vlad. Bis englische Archäologen in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts das Grab öffneten. Angeblich war es leer, aber die Augenzeugen jener Zeit widersprechen sich darin.«
    Joanna hatte schweigend zugehört. »Was soll man nun glauben?«, rief sie dann unwillig. »Überhaupt habe ich nach Tomas’ Schilderungen den Eindruck, dass sich auch die Historiker über die Rolle von Vlad Tepes nicht einig sind. Ceaus¸escu soll ja ein glühender Verehrer von ihm gewesen sein, aber es ist nicht verwunderlich, dass ein Tyrann den anderen bewundert.«
    Sie schwieg erneut und sah aus dem Fenster. »Ich verstehe jetzt besser, weshalb du mit mir zu der Insel gefahren bist. Die Person von Vlad Tepes Dracul ist untrennbar mit der Geschichte deiner Heimat verbunden.«
    »Ja, und außerdem geht der ganze Dracula-Mythos auf ihn zurück. Literarisch gesehen, meine ich. Bram Stoker hat zwar einiges durcheinandergebracht, als er den Roman über ihn schrieb, er hat Fakten vermischt und das Geschehen ins 19 . Jahrhundert verlegt, obwohl der reale Vlad Tepes im 15 . Jahrhundert gelebt hat, aber er war die Inspiration für seine Dracula-Figur.«
    Joanna nickte. »Und was war vorhin in der Kapelle? Dieser Geistliche war mir sehr unheimlich.«
    »Ich habe ihm erzählt, wir seien Touristen auf einem Nostalgie-Trip, da meine Vorfahren aus Transsylvanien stammten. Und man habe uns Snagov als interessantes Ziel empfohlen. Daraufhin hat er mir einen Vortrag über Vlad Tepes gehalten, ihn als besonders fähigen Herrscher gerühmt und seine Verdienste um das Kloster hervorgehoben.«
    »Unfassbar«, murmelte Joanna. Dann lächelte sie ihn von der Seite an. »Das wird wohl so etwas wie ein Roadmovie, unsere Reise in die Karpaten. Was kommt als Nächstes?«
    »Schlag mal in deinem Reiseführer nach. Als nächste sehenswerte Station auf dem Weg nach Transsylvanien gibt es einen Ort namens Sinaia. Wir könnten dort eine kurze Pause machen. Es sind von hier aus etwas weniger als achtzig Kilometer.«
    Sie nahm den Reiseführer aus ihrer Tasche und suchte den Abschnitt über Sinaia. Sobald sie zu lesen begonnen hatte, spürte sie die Erleichterung, in eine ganz andere Welt eintauchen zu können.
    »Liest du mir jetzt etwas vor?« Seine Stimme hatte wieder den gewohnten gelassenen Klang.
    »Ja, natürlich, aber ich dachte, du kennst das.«
    »Nein, diesen Ort kenne ich nicht, wie sollte ich? Sinaia war ursprünglich nur ein rumänisch-orthodoxes Kloster, das 1695 erstmals erwähnt wurde. Zu der Zeit hatte ich meine Heimat bereits verlassen, für immer, wie ich damals glaubte. Und nach meinen wenigen Informationen ist der Ort selbst erst während des 19 . Jahrhunderts entstanden. Der erste rumänische König, Carol I., hat sich dort ein abenteuerliches Märchenschloss im neugotischen Stil erbauen lassen, das eine Mischung aus Neuschwanstein und Disneyland sein soll.«
    Er sah sie von der Seite an. »Möchtest du es sehen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Lass uns weiterfahren. Wann sind wir in Transsylvanien?«
    »Wenn alles gut läuft, und wir nicht zu viel Verkehr haben, können wir in ungefähr zwei Stunden dort sein. Möchtest du nicht etwas schlafen? Ich wecke dich, wenn es wieder richtig spannend wird,

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