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Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Madsack
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eine Gastronomie, die mit natürlichen Produkten aus eigenem Anbau und Fleisch aus eigener Viehzucht auch die anspruchsvollen Gäste aus dem Westen begeisterte.
    Vadim besaß Wohnsitze an mehreren Orten, ein Penthouse in Bukarest in bester Lage, eine Finca auf Mallorca, eine Pariser Stadtwohnung im eleganten Vorort Neuilly. Dennoch konnte er sich keinen Ort vorstellen, an dem er sich so wohlfühlen würde wie in Poiana Brasov, am Rande der Karpaten. Seine Bereitschaft, in Radu Nicolescus Film mitzuwirken, hatte auch damit zu tun gehabt, dass ein Teil der Dreharbeiten in dieser Region stattfinden sollte.
    Jetzt war der letzte Drehtag angebrochen, und er fühlte sich erleichtert. Am Abend zuvor hatte er nochmals seinen Text überflogen. Er wusste, dass er trotz gelegentlicher »Unregelmäßigkeiten«, wie er selbst es nannte, eine gute Leistung abgeliefert hatte. Radu konnte zufrieden sein.
    Er trödelte noch eine Weile in dem luxuriösen Wohnwagen vor sich hin, der ihm als Garderobe diente, dann trat er hinaus und atmete die feuchte Morgenluft ein. Das Schloss Bran, die sogenannte Törzburg, wie sie auf Deutsch hieß, sah aus, wie sich viele Menschen Draculas Schloss vorstellten, zumindest, wenn es um den Dracula aus Bram Stokers Romanklassiker ging. Zu dumm nur, dass das historische Vorbild des Romans, der finstere Vlad Dracul, wohl nie auch nur einen Fuß in dieses Gemäuer gesetzt hatte.
     
    Die Menschen wollen betrogen werden, dachte Vadim und richtete den Blick auf die Ansammlung von Verkaufsständen und Buden, die sich wie ein Jahrmarkt am Fuß des Schlossbergs etabliert hatte. Die ersten Händler trafen ein und richteten ihre Ware her. Viel war nicht los um diese Jahreszeit, doch bestimmt würden trotzdem ein paar Ahnungslose auf den Schwindel hereinfallen.
    Er setzte eine dunkle Brille und eine Mütze auf, um nicht erkannt zu werden, dann schlenderte er auf die Marktstände zu. Er hatte sich bisher noch nicht die Zeit genommen, sich die Auslagen näher anzusehen, und was er jetzt sah, ließ ihn angewidert zurückweichen. Überdimensionale Gebisse mit Vampirzähnen, die wirkten, als wollten sie den Betrachter im nächsten Moment anspringen, rote und schwarze T-Shirts mit dem bekannten Porträt des walachischen Fürsten wehten leise in der morgendlichen Brise. Der blutige Schriftzug »Dracula« prangte als Motiv auf Kaffeetassen, Tellern, Eierbechern und Kerzenleuchtern und natürlich konnte man auch Dracula als Stoffpuppe kaufen. Diese Geschmacklosigkeiten wiederholten sich dann mit der Abbildung der Törzburg.
    Einer der Händler nahm ihn als einen potenziellen Kunden ins Visier und kam geschäftig auf ihn zu, und Vadim wandte sich ab. Als er wieder auf seinen Wohnwagen zusteuerte, wo er sich ein wenig aufwärmen wollte, waren die übrigen Mitarbeiter der Produktion fast vollzählig eingetroffen. Wie immer kurz vor Ende von Dreharbeiten herrschte eine ganz eigene Stimmung. In die Erleichterung, den mühevollen Prozess so gut wie abgeschlossen zu haben, mischte sich die wehmütige Gewissheit der Beteiligten, bald auseinanderzugehen und nicht länger an einer gemeinsamen Aufgabe mitzuwirken, die sie alle monatelang zusammengeschweißt hatte.
    Nicolescu kam auf ihn zu. Er wirkte bestens gelaunt und schwenkte die Arme. »Vadim«, rief der Regisseur, »wir haben es fast geschafft. Wie fühlst du dich?«
    Vadim setzte die dunkle Brille ab und lächelte. »Großartig, aber ich bin auch ein bisschen traurig, weil wir uns bald trennen müssen.«
    »Ich glaub dir kein Wort«, gab Nicolescu zurück und erwiderte das Lächeln. »Da fällt mir ein: Wir bekommen heute noch Besuch am Set, ganz reizende Leute. Nein, sag jetzt nichts, du wirst sie lieben. Sie wohnen in Brasov im selben Hotel wie wir, und als die Crew gestern Abend in der Halle einen Höllenlärm gemacht hat, wurden sie verständlicherweise erst mal ziemlich sauer, zumal es schon spät war. Er ist ein aus Ungarn stammender Adliger, dessen Vorfahren sich wie viele andere einst in Transsylvanien angesiedelt hatten, und jetzt reist er mit seiner Tochter auf einem Nostalgietrip durch die Lande. Wobei die Tochter mehr wie eine Engländerin aussieht, du weißt schon: üppiges rote Haar und grüne Augen.«
    In Vadims Blick blitzte etwas auf. »Eine echte Rothaarige? Und mit grünen Augen? Sehr ungewöhnlich, vor allem hier sieht man diesen Frauentyp selten.«
    »Mach dir da keine Hoffnungen«, erwiderte Nicolescu mit einem Grinsen, »die junge Dame wirkt sehr

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