Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Madsack
Vom Netzwerk:
trotz seines zweifelhaften Rufes, und genau darüber wollte sie mehr erfahren. Die Worte des Taxifahrers in Bukarest kamen ihr wieder in den Sinn: »Gehen Sie nach Transsylvanien, junge Lady, Sie werden dort vielleicht etwas finden, das Sie nie gesucht haben …«

Zwanzig
    Die Fahrt kam Joanna diesmal sehr lang vor. Sie saß im Fond des Geländewagens, der von Cornel mit sicheren Bewegungen die Serpentinen hinaufgesteuert wurde. Bis sie oben angekommen waren, sagte keiner von ihnen ein Wort. »Fahren wir direkt zum Restaurant?«, fragte sie.
    »Ja, Miss, so lautet meine Anweisung. Herr Vadim ist bereits dort und erwartet Sie.«
    Im Vergleich zum Vorabend war die Szenerie verändert, das Hochtal lag nicht länger wie vom Dunkel verschluckt. In vielen Häusern brannten Lichter, und die Straßenbeleuchtung war überall eingeschaltet.
    »In wenigen Tagen wird die Wintersaison eröffnet«, erklärte Cornel, »die Hotels und Pensionen bereiten sich auf die ersten Gäste vor.«
    Joanna freute sich über den Anblick, endlich wirkte es hier lebendig. »Glauben Sie, dass es wieder schneien wird?«, fragte sie.
    »Nein, heute Nacht nicht.« Er bog von der Straße ab und steuerte den Wagen auf einen kleinen Parkplatz. »Coliba Haiducilor« stand auf einem geschnitzten Schild. »Wir sind da, Miss.«
    Bevor Cornel die Tür öffnen konnte, war Joanna bereits ausgestiegen. »Wo ist das Restaurant?«, fragte sie verwundert.
    Er deutete nach oben.
    Ihre Augen folgten seiner Handbewegung. Eine breite Steintreppe führte auf mehreren Ebenen zu einem ländlichen Anwesen, dessen Umrisse in der schwachen Außenbeleuchtung nur zu erahnen waren.
    »Ich gehe voraus, Miss.« Cornel erklomm vor ihr die Stufen, bis oben eine Tür geöffnet wurde und Vadim auf der Schwelle erschien.
    »Joanna!«
    Nie zuvor hatte jemand auf diese Weise ihren Namen ausgesprochen, etwas Drängendes, Sehnsüchtiges lag darin, das sie ebenso verwirrte wie bezauberte.
    Er ergriff ihre Hand, wandte sich zu seinem Faktotum und sagte: »Danke, Cornel.«
    Cornel deutete eine Verneigung an und verschwand.
    »Komm«, sagte Vadim und bat sie herein.
    Benommen blieb sie stehen, nachdem sich die schwere Holztür hinter ihnen geschlossen hatte. Nach der Beschreibung des Hotelportiers war sie auf ein traditionelles Lokal mit sehr guter rumänischer Küche vorbereitet gewesen, das wegen der Qualität seiner Produkte im ganzen Land bekannt war. Was sie jetzt sah, übertraf all ihre Vorstellungen. Hier war sie in einem Mikrokosmos ganz eigener Art angekommen. Mit glänzenden Augen folgte sie Vadim zu einem der langen Tische. Die Stühle waren von Schaffellen überzogen, passend zu den hellen Leinentischdecken mit den traditionellen roten Streifenmustern. In der Mitte des Raums sorgte eine offene Feuerstelle für angenehme Wärme.
    Vadim nahm ihr den Mantel ab, und für einen flüchtigen Moment spürte sie die Berührung seiner Hände auf ihren Schultern.
    »Bitte.« Vadim machte eine einladende Handbewegung.
    Sie setzten sich, und ihr Blick wanderte durch den Raum. Zwischen Keramiktellern und sonstigem Haushaltsgerät hingen Gewehre und Jagdmesser an den Wänden, daneben Geweihe und ausgestopfte Wildvögel, dunkelrot glänzende Peperonisträußchen und pralle Knoblauchgirlanden. Zusammen mit den orientalischen Teppichen an Wänden und Böden war es ein Sammelsurium von Objekten, das seine Wirkung nur aus dieser Vielfalt bezog und dadurch den Anschein von Kitsch vermied.
    »Ist es dir recht, wenn ich für uns beide bestelle?«
    Sie nickte, für sie war das alles ein Abenteuer, und sie war viel zu beschäftigt mit Schauen. Eine junge Frau in Landestracht erschien an ihrem Tisch und nahm Vadims Wünsche entgegen. Nachdem sie alles notiert hatte, kehrte sie gleich darauf mit einer Flasche Weißwein zurück, ließ Vadim kosten und schenkte ihnen ein, sobald er zustimmend genickt hatte.
    Er hob sein Glas. »Auf uns, Joanna, und auf unsere Begegnung.«
    Sie sah ihn an. Etwas war mit seinen Augen, die verändert wirkten. Auch sonst schien der Mann, der ihr gegenübersaß, nicht ganz der Vadim zu sein, wie sie ihn am Abend zuvor erlebt hatte. Etwas Fremdes und Angespanntes ging von ihm aus.
    Langsam hob sie ebenfalls ihr Glas, ohne seines zu berühren. Die Vorspeisen wurden gebracht, Holzbretter mit Zwiebeln, Paprikaschoten und verschiedenen Wurstsorten, dazu Fleischpastete, Schinken und deftiger Käse. Vadim ermunterte sie, von allem etwas zu probieren, aß jedoch selbst kaum

Weitere Kostenlose Bücher