Hymne an Die Nacht
es auch in Rumänien schaffen, ich wollte hier, gerade hier, nach ganz oben kommen. Verstehst du das?«
»Das ist nicht so schwer zu verstehen«, sagte sie lächelnd. »Was ist mit deinem Widersacher, dem ehemaligen Schwiegervater? Hat er seinen Rachefeldzug irgendwann aufgegeben?«
Um Vadims Mundwinkel erschien ein Ausdruck, den sie schwer deuten konnte. »Er ist letztes Jahr gestorben, an den Folgen eines Autounfalls. Sehr bedauerlich für ihn, aber mir tut es nicht leid.«
»Das klingt nach einer sehr unversöhnlichen Lebenseinstellung, nach ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹.«
»Mag sein, dass es etwas mit dem rumänischen Nationalcharakter zu tun hat«, sagte er achselzuckend und griff wieder zu seinem Besteck. Nachdem er anfangs kaum etwas zu sich genommen hatte, aß er jetzt mit einer Gier, als könne ihn der Appetit demnächst erneut verlassen.
Mit unbewegter Miene sah Joanna ihm zu. Das Gespräch hatte eine Wendung genommen, bei der sie sich unbehaglich fühlte. Vadim hatte bisher nur von sich gesprochen, wozu ihr sämtliche Klischees über eitle und selbstverliebte Schauspieler eingefallen waren. Schlimmer war, dass er sie bisher kaum wahrgenommen hatte. Sie gehörte zu denen, die sich für andere interessierten und zuhören konnten, Vadim schien jedoch nur an sich selbst interessiert und monologisierte vor sich hin. Doch der Abend war noch nicht zu Ende, und vielleicht tat sie ihm unrecht.
Sie versuchte, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. »Euer neuer Film wird bestimmt wieder ein großer Erfolg, und was kommt danach? Hast du bereits Pläne?«
Er ließ das Besteck sinken. »Was heißt ›euer neuer Film‹? Es ist ausschließlich mein neuer Film, Joanna. Radu ist ein Regisseur der alten Generation, für dessen Filme sich kaum noch jemand interessiert, es sei denn, er kann jemand wie mich dafür gewinnen.«
Sie starrte ihn an, und als er endlich ihre betroffene Miene wahrnahm, fügte er lediglich hinzu: »Das ist nun mal eine Tatsache, die man nicht beschönigen kann.«
Mit einer entschiedenen Bewegung schob sie ihren Teller beiseite. »Ich verstehe davon nicht viel, aber es erstaunt mich, wie abfällig du dich über jemand äußerst, der in eurer Branche so angesehen ist wie Radu Nicolescu.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Ich habe mich erkundigt«, erwiderte sie kühl, »das ist in den Zeiten des Internets ja nicht schwierig.« Sie sah auf ihre Armbanduhr. »Ich würde gerne zurückfahren, aber ich kann mir auch ein Taxi rufen. Mein Vater und ich haben für morgen einen weiteren Ausflug in die Umgebung geplant.«
Er sah sie an, als habe er Mühe, den Sinn ihrer Worte zu verstehen. »Wie? Du willst schon gehen? Der Abend hat doch erst angefangen.«
»Nicht für mich, Vadim. Und glaub mir, es ist besser so.«
Wortlos zog er sein iPhone aus der Hosentasche und sprach hinein.
»Cornel wird in wenigen Minuten hier sein und dich zum Hotel bringen, ganz, wie ich es dir versprochen habe.«
Sie nickte.
»Entschuldige mich einen Moment«, murmelte er und ging zur Toilette.
Während sie wartete, setzte sich eine weitere Gruppe von Gästen an einen der langen Tische. Es war eine gemischte Gesellschaft von Männern und Frauen, unter denen Joanna einige von Vadims Partygästen wiederzuerkennen glaubte. Eine sehr schlanke Brünette mit straff zurückgebundenem Haar und tiefem Dekolleté starrte in Joannas Richtung, doch gleich darauf kehrte Vadim an ihren Tisch zurück.
Er winkte der Brünetten zu und half Joanna mit einer sehr förmlichen Geste in den Mantel. Auf dem Weg zum Parkplatz ging er voraus, während sie mit raschen Schritten folgte.
»Danke für den Abend, Vadim.« Sie ließ sich von Cornel beim Einsteigen helfen und legte den Sicherheitsgurt an. Der Wagen fuhr los. Im Seitenspiegel sah sie, dass Vadim ins Restaurant zurückkehrte.
Die Rückfahrt verlief schweigend, bis Joanna fragte: »Sind Sie schon lange in dieser Stellung tätig?«
Cornel richtete den Blick unverändert auf die Straße. »Ich habe bereits dem Vater von Herrn Vadim gedient.«
Diese Antwort ließ sie sofort wieder verstummen. Der Begriff des »Dienens« aus dem Mund eines Menschen, der in einem lang andauernden sozialistischen System aufgewachsen war, konnte absurder nicht sein. Doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, erhielt sie eine SMS .
Bin auf dem Weg in die USA , Gastprofessur in Stanford, habe lange darauf gehofft, ein Traum wird wahr.
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