Hymne an Die Nacht
etwas.
»Was ist mit dir, Vadim? Hast du keinen Appetit?«
»Ich habe diese Vorspeisen hier schon so oft gegessen«, sagte er mit einem gezwungenen Lächeln, »ich warte lieber auf den Hauptgang.«
Achselzuckend nahm sich Joanna noch ein Stück Fleischpastete, sah dann aber erfreut, dass auch Vadim jetzt mehr zulangte. Je länger sie zusammen waren, aßen, tranken und redeten, desto lockerer wurde er. Er erzählte Anekdoten aus seiner Schauspielerkarriere, berichtete von seinen Anfängen und von seinen ersten mühsamen Versuchen, in der Filmwelt Fuß zu fassen.
»Ich war schon einmal verheiratet«, sagte er und nahm mit einer selbstverständlichen Geste ihre Hand, »wusstest du das?«
»Ich habe davon gehört, aber warum erwähnst du das jetzt?«
»Weil diese Verbindung beinahe meine Karriere verhindert hätte.« Scheinbar gedankenverloren strich er mit der Fingerspitze über ihren Handrücken. »Es war nur eine sehr kurze Ehe, wir waren beide viel zu jung und unerfahren. Ich merkte bald, dass es ein Fehler gewesen war, und verliebte mich in eine andere Frau. Mein ehemaliger Schwiegervater, der ein einflussreicher Mann war, sorgte nach der Scheidung dafür, dass ich nirgendwo mehr ein Engagement bekam, keiner wollte mich mehr in einem Film besetzen. Zu der Zeit war gerade mein Vater gestorben. Als angesehener Politiker mit vielen Verbindungen hätte er mich gegen diese Attacken schützen können, aber nach seinem Tod hatte ich zwar ein Vermögen geerbt, stand aber sonst ganz allein da.«
»Was ist mit deiner Mutter?«, unterbrach sie ihn.
»Sie ist gestorben, als ich sechs Jahre alt war, sie litt an Krebs. Mein Vater hat danach nicht mehr geheiratet.«
»Und Geschwister?«
»Gibt es nicht, ich bin das einzige Kind.«
Eine Pause entstand. Etwas in ihr wollte den Mann, der ihr gegenübersaß, auf der Stelle in den Arm nehmen, doch dann erwiderte sie nur: »Ich weiß, wie das ist, ich bin auch ein Einzelkind.«
Er drückte ihre Hand, ohne aufzusehen.
»Und wie ging es weiter?«
»Ein Freund bat mich, ihn in New York zu besuchen. Über einige Umwege und dank der Beziehungen meines Freundes schaffte ich es nach Hollywood. Was dann geschah, war nichts anderes als eine glückliche Fügung. Für den Film ›Zwischen der Nacht und dem Morgen‹ wurde ein jüngerer Darsteller osteuropäischen Typs gesucht, und beim Casting entschied sich der Produzent wohl vor allem deshalb für mich, weil meine äußere Erscheinung perfekt zu der Rolle passte.«
»Ich habe darüber im Internet gelesen«, sagte sie nachdenklich. »Mit dem Film kam für dich der Durchbruch, und den Kritiken zufolge keineswegs nur, weil du so gut dem Rollentyp entsprochen hast.«
»Das mag stimmen«, erwiderte er ohne falsche Bescheidenheit, die sie ihm ohnehin nicht geglaubt hätte, »ich habe damals alles in die Rolle hineingelegt, ich wusste, dass es meine einzige Chance war.«
»Nach diesem Erfolg hättest du in Hollywood bleiben können, warum bist du zurückgekehrt?«
»Joanna«, in seiner Stimme war ein veränderter Ton, »ich bin ein Kind meiner Heimat, ich habe mich in Los Angeles nie wohlgefühlt. Wenn du nicht gerade ein Superstar bist, diktieren die Studiobosse nach wie vor die Bedingungen, und selbst dann kommst du aus dieser Mühle nicht mehr ganz raus. Nur wirklich starke Naturen halten das aus, alle anderen flüchten sich in zu viel Alkohol, Drogen aller Art und schnell verfügbaren Sex. Vermutlich ist ihr Leben anders auch kaum zu ertragen. Eine Zeitlang geriet ich ebenfalls in solche Kreise und nahm dieselben Unsitten an, bis ich merkte, wie sehr mir meine eigentlichen Wurzeln fehlten.«
Der Hauptgang wurde gebracht, ein Huhn am Spieß, dazu verschiedene Gemüsesorten und knusprige Röstkartoffeln, das alles auch aus eigenem Anbau, wie in der Speisekarte versichert wurde.
Vadim bestellte dazu einen Blauburgunder aus der Karpatenregion, der in bauchigen Gläsern serviert wurde. Als er diesmal mit ihr anstieß, sagte er: »Auf dich, Joanna, und auf die Wurzeln, die du hier vielleicht gefunden hast!«
Das Glas in ihrer Hand zitterte ganz leicht, rasch setzte sie es auf der Tischdecke ab. »Du bist also zurückgegangen«, nahm sie das Gespräch wieder auf.
»Ja«, er griff zum Besteck und zerteilte das Huhn auf seinem Teller, »alles zog mich wieder hierher, ich hatte unbeschreibliches Heimweh. Aber das war nicht der einzige Grund.«
Sie sah auf und begegnete seinem Blick.
»Seit dem unerwarteten Erfolg in Amerika wollte ich
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