Hype: Thriller (German Edition)
diese Denkweise völlig falsch, zumindest in demokratischen Ländern. Der Staat ist in der Regel nur an dem interessiert, was eine winzige Gruppe zu einem sehr begrenzten Themenbereich zu sagen hat. Großunternehmen hingegen …«, er zeigte mit einer Geste auf die Welt außerhalb des Wagens, »… sind daran interessiert, was die Mehrheit zu sagen hat, vor allem, wenn es um Konsumgewohnheiten geht oder darum, wie ihre teuren Marken aufgenommen werden. Diese Art von Information findet sich überall dort draußen, im ganzen Netz wimmelt es nur so davon, und warum? Ja, ganz einfach, weil die meisten Menschen solche Informationen vollkommen freiwillig zur Verfügung stellen, indem sie ganz unten auf einer Seite einen kleinen Button anklicken oder, noch besser: indem sie selbst ihre Meinungen und Vorlieben in einem der zahlreichen Foren posten. Der moderne, freiheitsliebende, nach Integrität strebende Mensch offenbart sich also selbst bis ins kleinste private Detail. Nicht einmal George Orwell hätte ein solches Szenario vorhersehen können …«
Ein kurzes Piepen von Philips Gürtelfutteral signalisierte, dass er eine Nachricht erhalten hatte, aber der Mann war so in seine Erklärungen vertieft, dass er es nicht einmal zu bemerken schien.
»Das Internet quillt geradezu über vor Daten, die die Menschen einander aufzwingen«, fuhr er fort. »Lieblingsfernsehprogramme, -filme oder -bücher, religiöse und politische Ansichten, die Weihnachtsgeschenke für die Kinder oder was man zum Abendessen gekocht hat. Und warum? Genau, weil sich die meisten von uns tief in ihrem Innern nach einer einzigen Sache sehnen.«
»Nach Bestätigung«, murmelte HP.
»Exakt! Wir werden immer abhängiger davon, dass andere uns bestätigen, wie klug, hübsch oder tüchtig wir sind. Welch herrliches Leben wir haben mit unseren tollen Ehemännern oder Ehefrauen und wunderbaren Kindern, wie glücklich unser Leben ist im Gegensatz zu dem der anderen. Im Gegensatz zu denen, die den falschen Humor haben, sich falsch ernähren, die falschen Klamotten tragen, in der falschen Art von Wohnung leben, ihre Kinder falsch erziehen oder ganz allgemein falsche Ansichten haben.«
Er beugte sich zu HP hinüber.
»Grob gesagt gibt es alles, was es zu wissen gilt, im Netz. Es braucht nur jemanden, der den Fluss nach den Dingen durchsiebt, die potenzielle Kunden interessieren könnten.«
HP nickte, er ließ sich immer stärker mitreißen.
»Der Informationsvorsprung, den Behörden und Machthaber fast vierhundert Jahre lang besaßen, ist im Prinzip auf ein Minimum geschrumpft. Die Informationen fließen nicht mehr von oben nach unten, sondern in alle Richtungen. Tausende und Abertausende Menschen können innerhalb von wenigen Sekunden miteinander kommunizieren, ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen. Alte Wahrheiten existieren nicht mehr, alles kann infrage gestellt, verändert oder verworfen werden. Die Spielregeln sind für immer verändert, und wer das nicht einsieht, ist zum Untergang verurteilt, schau dir nur mal Nordafrika an.«
Philip machte eine kurze Pause und warf einen raschen Blick durch die Windschutzscheibe, bevor er weitersprach.
»Was wir unseren Kunden bieten, ist ein Weg, mit Krisen umzugehen oder sie zu verhindern, indem wir alles überwachen, was über sie gesagt wird und von wem. Wir geben ihnen die Chance, einen Schneeball zu stoppen, bevor er sich in eine Lawine verwandelt, wenn du verstehst, was ich meine.«
Ja, HP verstand, aber Philips Pausen waren so kurz, dass er nicht die Zeit hatte, etwas zu erwidern. Stattdessen hörte er mit wachsender Faszination zu.
»Aber«, sagte Philip, »sobald unsere Kunden detailliertes Wissen über alle Mechanismen im Netz erworben haben, über die täglichen Mechanismen, die eine direkte Wirkung auf die unterste Zeile in ihrer Bilanzrechnung haben, dauert es in der Regel nicht besonders lange, bis sie nach dem nächsten Schritt fragen …«
»Kontrolle«, flocht HP ein.
»Genau, mein Freund!« Philip Argus lächelte einmal mehr reptilartig. »Und hier kommen unsere einmaligen Dienste ins Bild. Denn wenn man all die schönen Worte, Richtlinien und eleganten Formulierungen weggeschält hat, geht es letztendlich genau darum, nämlich um …«
*
Kontrolle!
Die fehlte ihr. Und zwar in doppelter Hinsicht.
Sie hatte zugelassen, dass die Situation sie kontrollierte, nicht umgekehrt. Natürlich hätte sie beim Verhör anders agieren sollen, jetzt im Nachhinein erschien das geradezu lächerlich
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